Herrscher
an ihrer Seite haben, doch er musste Abstand zu ihr halten. Dar wusste nicht, was schlimmer war: Ihn in der Nähe zu haben oder ihn nie mehr zu sehen. Ihr Brustkorb ersehnte seine Gegenwart. Ihr Kopf schalt sie der Narretei.
Am Abend der dritten Festlichkeit lenkten Gedanken an Kovok-mah Dar häufig ab. Sie hatte schon ausgerechnet, wann ihre Mitteilung Muth-mah erreichte und wann Kovok-mah vielleicht eintraf.
Das Hanmuthi, das an diesem Abend zu Gast war, unterstand der Leitung einer Muthuri, die kaum älter war als sie. Dennoch hatte sie schon drei Töchter, von denen keine alt genug war, um Essen zu servieren. Ferner zählten zwei ältere Tanten und ihre Familien zu dem Hanmuthi. Die Tanten waren mit ihrem Dasein spürbar unzufrieden und erinnerten Dar an Kath-mah. Obwohl sie zu viel Falfhissi trank, fand Dar nach dem Fest nur ruhelosen Schlaf.
Am folgenden Morgen erwachte sie mit Kopfweh.
Nachdem sie Washuthai gekaut hatte, um die Beschwerden zu mildern, ging sie erneut zur Wissenshüterin. Zwar nahm Dar noch Unterricht im Lesen und Schreiben, doch war dies nicht der Anlass ihres jetzigen Besuchs.
Dennoch übte sie für eine Weile das Schreiben, bevor sie die Frage stellte, die sie eigentlich beschäftigte.
»Können wiedergeborene Mütter Kinder bekommen?«
Yev-yat strich über die Ränder ihrer Sippentätowierung. »Eine interessante Frage«, sagte sie nach längerem Schweigen. Sie strich eine Zeit lang über ihr Kinn, dann stand sie auf und kramte einige Deetpahi aus den Regalen. Sie brachte einen Armvoll zum Tisch und las mehrere durch, bevor sie auf einen bestimmten Abschnitt zeigte. »Hier steht die Geschichte eines Washavoki-Sohns, dessen Wiedergeburt als Hunda-pah erfolgte. Er und eine Mutter namens Dir-tab wurden gesegnet. Heute gibt es keine Tab-Sippe mehr.«
»Gilt sie als verloren, so wie die Pah-Sippe?«, fragte Dar.
»Thwa, sie sind alle tot. Ehe die Washavoki kamen, gab es dreizehn Sippen. Heute sind es nur noch acht; das heißt, neun, wenn man die Pah-Sippe mitzählt. Aber ich schweife ab. Da.« Yev-yat deutete auf einen anderen Abschnitt. »Dir-tab gebar einen Sohn namens Tak-tab.« Stumm las Yev-yat einige Zeilen. »Da steht, er sah absonderlich aus.«
»Inwiefern?«, fragte Dar.
»Davon wird nichts erwähnt.« Yev-yat las weiter. »Später ist er getötet worden.«
»Von wem?«
»Von einem Washavoki, der mit Hunda-pahs Washavoki-Eltern verwandt war.«
»Aber Dir-tab war als Urkzimmuthi geboren worden«,
stellte Dar fest. »Findet sich auf irgendeinem Deetpahi etwas über wiedergeborene Mütter, die Kinder bekamen?«
Dars Frage bewog die Wissenshüterin zu erneutem Nachforschen und Lesen. Sie wartete geduldig, während Yev-yat nach einer Antwort suchte. Endlich fand sie eine.
»Es wurde lange niemand wiedergeboren, und viel Wissen ist dahin. Ich habe drei Geschichten über wiedergeborene Mütter gefunden, aber nur eine wurde gesegnet. Sie hieß Deen-jan und lebte bei Tarathank. Es kann sein, dass sie ein Kind hatte, aber vielleicht war es auch ihre Schwester. In dieser Hinsicht sind die Angaben ungenau.« Sie hob den Blick von dem Deetpahi. »Warum stellst du diese Fragen?«
Dar spürte, dass ihr Gesicht rot anlief. »Ich hoffe auf Töchter.«
»Welche Mutter empfände anders?«
Tolum Kol erschien das erste Mal anlässlich eines regelmäßig veranstalteten Festabends bei Hofe.
Königin Girtas Festlichkeiten waren weder so prunkvoll, wie man es von ihrem toten Gemahl gekannt hatte, noch zogen sie so viele Gäste an, doch alle Speichel- und Stiefellecker kamen unweigerlich angekrochen. Während die Gäste sich vermischten, übersah niemand General Voltars neuen Adjutanten. Ihm war die Kunde vorausgeeilt, er sei ein Ork-Kenner. Manche Anwesenden glaubten, er hätte die Absicht, die Orks in die Schranken zu verweisen. Andere hielten ihn für einen Ork-Knecht. Nicht wenige fragten sich, ob man ihn etwa auf den Posten des Stellvertreters der Königin vorbereitete.
Die Damen waren sich darin einig, dass Tolum Kol blendend aussah. Für sie war er auf männlich-derbe Weise anziehend. Viele begeisterten sich für seine durchdringenden
blauen Augen. Die Männer, die einen möglichen Rivalen in ihm sahen, fanden Trost in seiner unedlen Herkunft. Ungeachtet seiner Höflichkeit empfanden sie sein selbstbewusstes Auftreten als anmaßend.
Vor der förmlichen Eröffnung der Festlichkeit durften sich Höflinge der Königin mit Gesuchen, Eingaben und ähnlichen Angelegenheiten
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