genauso überrascht, mich zu sehen, wie ich sie. Sie war mir ebenso aus dem Weg gegangen. Wahrscheinlich hatte sie jemanden kennengelernt, der sie glücklich machte. Sie sah wirklich glücklich aus! Und als mir das klarwurde, fühlte ich mich irgendwie ganz komisch. Ich war enttäuscht. Ich war neidisch.
Und dann kam Ihre Mail am Samstagabend! Und da wurde ich wütend. Ich fragte mich, warum ich so dämlich bin und mich dermaßen in eine Brieffreundschaft reinsteigere, die doch auf Sand gebaut ist. Ein Kontakt, der nach dem ersten persönlichen Treffen von jetzt auf gleich beendet sein könnte. Ich fragte mich: Was will ich von dieser Frau, die doch nichts von Männern will?
Tja.
Und da schrieb ich am Sonntagmorgen diesen Brief und beschloss, eine Woche mein altes Leben zu leben. Ohne auf Ihre Mails oder Briefe zu warten, ohne im Internet alle paar Stunden zu schauen, ob es schon etwas Neues aus Hamburg gibt. Ich wollte wieder alle meine Pläne einhalten. Montag: joggen, Dienstag: bügeln, Mittwoch: Mutter besuchen, Donnerstag: Squash, Freitag: waschen, Samstag: die Wohnung putzen und joggen.
Das habe ich dann auch gemacht, und jetzt sitze ich hier und lese alle Ihre Mails und bin sehr, sehr froh, dass es Sie in meinem Leben gibt.
Aber ich gebe zu, dass ich neidisch auf meine Nachbarin und ihr Date bin und wünschte … Ich wünschte, dass unsere Beziehung nach einem ersten Treffen nicht einfach so aufhört.
In Hoffnung auf was auch immer.
Ihr Berti
P.S. Gibt es auch Speed-Dating für Brieffreunde?
***
So 31. Oktober 16:01
Betreff: AW : Was soll’s
Von:
[email protected] An:
[email protected] Danke für Ihre offenen und ehrlichen Worte, mein lieber Berti!
Ach, wie habe ich Sie vermisst die letzten Tage. Tun Sie das bitte nie wieder! Ich meine, zumindest nicht ohne Ankündigung. Ich hätte ja nicht einmal eine Telefonnummer von Ihnen gehabt, um mich persönlich bei Ihnen zu entschuldigen.
Aber ich verrate Ihnen, dass ich mich beim Einschlafen schon im Flieger nach München gesehen habe, um Sie spontan zu überfallen und mit Ihnen einen kurzweiligen Abend auf dem magischen Balkon zu verbringen.
So, nun ist es raus, dass auch ich schon mal an ein konkretes Treffen gedacht habe.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn ich muss Ihnen gestehen, dass ich eine Riesenangst hätte, Sie in der echten Welt zu treffen. Obwohl ich zu 100%, nein, sagen wir ehrlicherweise zu 90% davon überzeugt bin, dass ein Abend mit Ihnen tatsächlich sehr kurzweilig und bestimmt furchtbar kalauerlustig wäre.
Doch es ist nicht das, was wir gewinnen könnten, das mir Angst macht, sondern das, was wir definitiv verlieren würden: den Zauber des Unberührten, Unerreichten, das fremd Vertraute, was mir an unserer «Briefbeziehung» so außerordentlich gut gefällt. Mir gefällt es sogar so gut, dass ich am liebsten keinen Tag mehr ohne Berti-Mail verbringen möchte. Aber das sage ich Ihnen besser nicht. Genauso wenig, wie ich Ihnen sage, dass ich ein klitzekleines bisschen eifersüchtig auf Petzi bin. Sie muss nur ein paar Treppenstufen raufgehen, um Sie live und in Farbe zu sehen. Ich dagegen kenne nicht mal Ihre Stimme.
Fiete findet ja, dass wir wenigstens mal telefonieren sollten. Und er hat nur den Kopf geschüttelt und mir einen Vogel gezeigt, als ich ihm sagte, dass wir so weit noch nicht sind. Aber Sie verstehen doch sicher, was ich damit sagen will, oder?
Ich meine, natürlich brenne ich darauf, ein Foto von Ihnen zu sehen. Aber auch das würde ich Ihnen bestimmt nicht sagen. Und zwar schon allein deswegen nicht, weil Sie mir sicher sofort den Gefallen tun und eins schicken würden. Aber was mache ich, wenn Sie so ganz anders aussehen als der Berti, der in meiner Phantasie seine Michael-Franks- CD auflegt und sich auf sein grünes Sofa legt, um in den Sternenhimmel zu schauen?
Wenn ich Michael Franks höre und an Berti denke, denke ich an einen gut aussehenden (ja, in meiner Vorstellung sehen Sie sogar sehr gut aus!) Mann, der seinem einsamen Alltag zu entkommen versucht, indem er sich in fremde Welten flüchtet und sein wahres Ich versteckt. Dabei wünscht er sich nichts sehnlicher als eine ehrliche, tiefe Liebe in seinem Leben. Doch dieser Wunsch wird verschleiert von einer scheinbaren Leichtigkeit und einem sehr sonderbaren Humor. Und nur, wer genau hinschaut, kann dahinter eine entwaffnende Herzlichkeit und Verletzbarkeit erkennen. Dieser Berti ist der sympathische Held in