Herz aus Eis
machte.
Elizabeth riss sich zusammen und schleppte sich zur Arbeit, überstand den Tag mehr schlecht als recht und fuhr abends wieder mit dem Zug nach Windsor zurück.
Im Zug, eine knappe halbe Stunde von zu Hause entfernt, traf sie die Erkenntnis mit Wucht. Sie war schwanger. Tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie ein Baby erwartete.
Und Kristian? Ihr wurde plötzlich eiskalt. Was würde er dazu sagen, geschweige denn tun, wenn er von dem Baby erfuhr? Wie würde er reagieren, wenn er herausfand, dass die Frau, für die er nur Abscheu empfand, sein Kind erwartete?
Die Panik ließ sie noch mehr frösteln. Er durfte es nicht herausfinden.
Reg dich nicht unnütz auf, ermahnte sie sich. Es ist ja nicht so, als würdest du ihm morgen zufällig über den Weg laufen. Er lebt am entgegengesetzten Ende des Kontinents, Tausende von Kilometern entfernt, sie auf ihrer und er auf seiner Insel.
So herzlos es auch klingen mochte, sie würde dafür sorgen, dass er es nicht herausfand. Denn er würde ihr das Baby wegnehmen, daran zweifelte sie nicht. Genau, wie Nico ihr alles genommen hatte. Griechische Männer waren stolz und ungestüm. Griechische Männer, vor allem griechische Tycoons, lebten in dem Bewusstsein, über Regeln und Gesetzen zu stehen. Kristian Koumantaros würde da keine Ausnahmebilden.
Die Übelkeit wurde stärker, unruhig rutschte Elizabeth auf ihrem Sitz hin und her. Sie wollte nur noch nach Hause. Sie würde ein entspannendes Bad nehmen und sich dann ins Bett legen. Sie brauchte dringend Ruhe, ihr Herz pochte viel zu hart.
Um sich abzulenken, ließ sie den Blick durch das Abteil wandern und las die Überschriften auf den Zeitungen, die die anderen Pendler aufgeschlagen hielten. Ein Mann hatte sich beinahe ganz hinter seiner Zeitung versteckt, doch es war eine der Titelzeilen, die jäh Elizabeths Aufmerksamkeit erregte.
Koumantaros für Augen-OP in London
Elizabeth stockte der Atem. Unwillkürlich beugte sie sich vor, um den Artikel zu lesen, doch der Mann fühlte sich wohl belästigt, raschelte mit den Blättern und setzte sich um, sodass sie nur Zeit hatte, die erste Zeile auszumachen.
Doch im Grunde stand in den beiden Zeilen alles Wissenswerte für Elizabeth.
Kristian Koumantaros würde sich heute in der Moorfield-Klinik einer riskanten Augenoperation unterziehen.
12. KAPITEL
Auf dem Weg von der Bahnstation zu ihrem kleinen Haus wollten Elizabeth die Nerven durchgehen. Seit drei Jahren lebte sie jetzt in Windsor. Das historische Städtchen war das perfekte Gegenmittel für Stress jeglicher Art, doch heute zeigte die malerische Umgebung keinerlei Wirkung.
Irgendetwas stimmte nicht. Und es war nicht nur der Gedanke an das Baby. Ein sechster Sinn sagte Elizabeth, dass etwas in der Luft lag.
Sie beschleunigte ihre Schritte und versuchte sich zu beruhigen. Sie war einfach nur müde und abgespannt. Da war niemand, der sie beobachtete. Und es gab auch niemanden, der ihr folgte. Nichts würde passieren.
Sie schlug den Mantelkragen auf und wickelte den Mantel enger um sich. Die ungute Vorahnung verstärkte sich, als sie den schmalen Kiesweg zu ihrem Häuschen entlangeilte.
Windsor bot genügend Abwechslungen für das Wochenende. Unzählige hübsche Geschäfte luden zu einem Bummel ein, Promenaden führten am Fluss entlang, und über allem thronte das Schloss. Doch heute schien Elizabeth ihr kleines Haus in der ruhigen Straße viel zu abgelegen und isoliert.
Wenn ihr jemand bis hierher gefolgt war und sich Einlass erzwang, würde niemand ihre Hilfeschreie hören.
Sobald sie im Haus war, drehte Elizabeth den Schlüssel in der Vordertür zweimal um und eilte zur Hintertür, um nachzusehen, ob diese ebenfalls verschlossen war. Erst dann zog sie den Mantel aus und stellte die Heizung an.
In der Küche setzte sie einen Kessel Wasser für Tee auf und wollte sich gerade einen Toast machen, als es an der Haustür klopfte.
Das Toastbrot in der Hand, verharrte sie stocksteif. Erneut ertönte das Klopfen.
Sie legte Brot und Messer ab und ging zum Fenster, um hinauszuschauen. Vor dem Haus parkte ein Jaguar, das neueste Modell. Ein Mann stand an der Schwelle, mit dem Rücken zur Tür. Dennoch wusste sie, wer es war, erkannte es an seiner Größe, an seinen Schultern, an seiner Haltung.
Kristian. Kristian war hier.
Aber heute sollte doch seine Operation sein … hätte heute sein sollen. So stand es in der Zeitung.
Es sei denn, er hatte einen Rückzieher gemacht.
Nein, das würde er bestimmt nicht tun.
Weitere Kostenlose Bücher