Herz aus Eis
ein Bad, das Zimmer der Haushälterin und deren Büro untergebracht waren.
Da war auch eine zweite Treppe, die vom Versorgungsbereich in die oberen Stockwerke führte. Houston benützte sie, hielt im ersten Stock an und blickte einen langen Korridor hinunter. Doch sie konnte nur getäfelte Wände und einen Schatten auf dem Eichenparkett entdecken. Sie setzte ihren Weg bis zum Dachgeschoß fort.
Wie sie bereits vermutet hatte, war das oberste Stockwerk eigentlich nicht als Speicher, sondern als Quartier für die Dienerschaft eingerichtet worden. Da waren zwei Badezimmer, eins für das männliche, das andere für das weibliche Personal, und der Rest des Stockwerkes war in kleine Räume aufgeteilt. Und jeder Raum war vom Boden bis zur Decke mit Kisten, Paketen und Teppichrollen vollgestopft.
In einigen Räumen entdeckte sie Möbel, die nur mit Schutzüberzügen versehen waren. Sie hob eine Decke hoch, unter denen zwei vergoldete Sessel mit gewirkten Polstern ineinandergeschoben waren. An einer Armlehne entdeckte sie einen Anhänger. Mit angehaltenem Atem las sie den Text, der darauf stand:
Zwölf Sessel, zwei Sofas, mit Gobelinüberzügen, um 1750 entstanden, ursprünglich im Besitz der Madame Pompadour.
»Du meine Güte!« hauchte Houston und zog rasch wieder die Decke über die Stühle.
An der Wand lehnte ein zusammengerollter Teppich. Auf dem Anhänger las sie:
Spätes siebzehntes Jahrhundert, für Ludwig XIV. in der königlichen Teppichmanufaktur im Hospice de la Savonnerie angefertigt.
Eine flache Kiste, in der offensichtlich ein Gemälde verpackt war, besaß nur einen aufgeklebten Packzettel mit dem Wort >Gainsborough< darauf. Daneben stand eine ähnliche Kiste mit dem Vermerk >Reynolds<.
Behutsam nahm Houston den Möbelschoner von den beiden übereinandergestapelten Sesseln der Madame Pompadour, hob den oberen herunter und setzte sich darauf. Sie brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu sammeln. Sie schaute sich im Zimmer um, und überall lugten unter den Schonern vergoldete Füße hervor. Sie brauchte ihre Inspektion nicht fortzusetzen. Sie wußte schon jetzt, daß alle hier gelagerten Einrichtungsgegenstände den Rang von Kunstwerken und Museumsstücken besaßen. Geistesabwesend hob sie eine Decke von einem Gegenstand hoch, der neben ihr auf dem Boden lag. Ein Lüster kam zum Vorschein, der funkelte, als wäre er aus lupenreinen Diamanten hergestellt. Sie las das Datum auf dem Anhänger: 1780.
Sie saß noch immer benommen in ihrem kostbaren Sessel und versuchte sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß sie ihren Alltag unter solchen Schätzen verbringen sollte, als sie unten eine Kutsche Vorfahren hörte. »Mr. Bagly!« rief sie, während sie die Treppe hinuntereilte, und es gelang ihr, gerade noch rechtzeitig die Haustür zu erreichen, um den Meister und dessen Assistenten dort in Empfang zu nehmen.
»Guten Morgen, Blair-Houston«, sagte Mr. Bagly.
Mr. Bagly war ein schmächtiges Männchen mit blassem Gesicht, der es irgendwie fertigbrachte, ein Despot zu sein. Er war als Schneider die erste Adresse in Chandler und wurde mit großem Respekt behandelt.
»Guten Morgen«, antwortete sie. »Kommen Sie doch bitte herein. Ich weiß nicht, ob Sie inzwischen schon gehört haben, daß Mr. Taggert und ich in zwei Wochen heiraten werden. Bis dahin braucht er eine vollständige Garderobe. Fürs erste jedoch benötigt er einen guten Gesellschaftsanzug für einen Empfang, der morgen stattfindet — etwas aus Alpaka mit drei Knöpfen, grauer Hose und einer Weste aus Kaschmir. Das sollte für den Anfang genügen. Glauben Sie, daß Sie den Anzug bis morgen nachmittag um zwei fertigstellen können?«
»Ich weiß nicht. Ich habe noch andere Kunden.«
»Von denen sicherlich keiner so dringend bedient werden muß wie Mr. Taggert. Setzen Sie so viele Näherinnen ein wie möglich. Sie werden bezahlt.«
»Ich glaube, es läßt sich machen. Wenn ich jetzt die Maße von Mr. Taggert hätte, könnte ich gleich mit der Arbeit anfangen.«
»Er ist im ersten Stock, glaube ich.«
Mr. Bagly blickte sie fest an. »Blair-Houston, ich kenne Sie nun schon seit Ihrer Geburt, und ich bin bereit, alle anderen Arbeiten liegenzulassen, um Ihren Wünschen entgegenzukommen. Ich bin sogar heute morgen schon sehr früh aufgestanden, um Ihrem Verlobten die Maße abzunehmen; doch ich werde keinesfalls auch noch Treppen steigen, um Ihren Verlobten im Haus zu suchen. Vielleicht sollten wir später wiederkommen, wenn er wach
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