Herz aus Glas (German Edition)
wusste, was ich schreiben sollte. »Ich bin nicht sicher. Ich würde ihm so gern helfen.«
»Bist du verknallt?«
Als ich die Frage las, sprang ich auf und musste erst ein paar Mal im Zimmer hin und her laufen, bevor ich es schaffte, mich wieder hinzusetzen und die Finger auf die Tastatur zu legen. »Ja«, tippte ich, aber ich zögerte, die Nachricht abzusenden. Mit zwei Anschlägen löschte ich sie wieder.
»Nein«, schrieb ich stattdessen.
»Gut. Was willst du jetzt tun?«
Wenn ich das bloß gewusst hätte!
Ich stützte den Kopf in beide Hände und starrte so lange, ohne zu blinzeln, auf meinen Monitor, bis der blinkende Cursor vor meinen Augen verschwamm.
»Irgendwie habe ich noch immer das Gefühl, dass ich rausfinden sollte, was auf dieser Klippe passiert ist«, schrieb ich dann.
»Weißt du jemanden, der dir dabei helfen kann?«
Ich dachte an den Prospekt von dem Inselmuseum, den Rachel mir gegeben hatte. Wie hatte Kimmi den Fachmann für die City of Columbus dort genannt? Adam.
»Vielleicht«, tippte ich. Und dann: »Muss jetzt los!«
»Okay.« Miley endete mit einer Reihe Smileys, die aufmunternd einen riesigen Daumen in die Luft hoben.
Eine Weile starrte ich sie an, dann klappte ich den Laptop zu.
Das Inselmuseum lag in Chilmark, wo ich gestern schon einmal zu Fuß gewesen war. Ich warf einen missmutigen Blick aus dem Fenster. Der Nebel war in der letzten halben Stunde noch dichter geworden und ich konnte gerade mal die Fassade des Haupthauses erkennen. Aber es hatte jetzt wenigstens aufgehört zu regnen.
Ich schlang mir zum Schutz gegen den Wind ein Tuch um den Hals. Dann schlüpfte ich in meine Jacke, nahm Geldbörse, Museumsprospekt und Appartementschlüssel und machte mich auf den Weg. Als ich das Grundstück der Bells verließ, fiel mir wieder ein, dass David mich gestern Abend gebeten hatte, nicht zu diesem Adam zu gehen. Ich überlegte, was wohl der Grund dafür gewesen sein mochte, aber natürlich kam ich zu keinem Schluss.
»Selbst schuld, mein Lieber!«, murmelte ich und fügte hinzu: »Jetzt erst recht!«
Obwohl ich den Weg nach Chilmark ja von gestern bereits kannte, kam es mir heute so vor, als sei ich in eine ganz andere Welt geraten. Der Nebel lag so dicht über der Insel, dass ich keine fünfzig Meter weit sehen konnte, und das ergab – zusammen mit dem Geräusch der Brandung und dem heute eher gedämpften Geschrei der Möwen – eine sonderbar drückende Stimmung.
Einmal näherte sich mir von hinten ein Auto und sein gelbliches Scheinwerferlicht warf meinen eigenen Schatten übergroß vor mir auf die Nebelwand. Als der Wagen vorbei war, wurde das Motorengeräusch rasch von den tief hängenden Wolken verschluckt. Danach kam mir die Stille ringsumher noch undurchdringlicher vor. Irgendwann, kurz bevor ich den Menemsha Pond erreichte, glaubte ich, Schritte hinter mir zu hören. Ich drehte mich um, aber da war niemand.
Ein Schatten sprang vor mir aus den Büschen und huschte quer über die Straße. Beinahe hätte ich vor Schreck einen Schrei ausgestoßen, doch dann erkannte ich, dass es nur ein Fuchs gewesen war. Kurz bevor er das Unterholz auf der anderen Straßenseite erreichte, blieb er stehen und warf mir einen langen Blick zu. Er sah ein bisschen mitleidig aus, fand ich, fast so, als wollte er sagen: Was machst du denn hier draußen, bei dem Mistwetter?
Dann verschwand er.
Kurz darauf glaubte ich erneut, Schritte zu hören. Ich blieb stehen und lauschte mit klopfendem Herzen. Ein Steinchen rollte mit einem Klickern davon. Mir richteten sich die Haare im Genick auf und ich ging schnell weiter. Mit so großen Schritten, dass ich beinahe rannte. Ich war heilfroh, als ich endlich Chilmark erreichte.
An Rachels Buchhandlung bog ich links ab und stand gleich darauf vor einem hellblau gestrichenen Haus mit grauen Dachziegeln. An einem Schild über der Tür prangte das Logo mit dem versinkenden Schiff, das ich schon von dem Prospekt kannte. Ein Schriftzug darüber verkündete, dass dies hier das Vineyard Historical Museum war.
In den mit weißen Sprossen versehenen Fenstern baumelte ganz ähnliches Kunsthandwerk wie in Crystals Café. Ich warf einen Blick auf eine kleine Tafel an dem rechten Verandapfosten. Der Beschriftung nach zu urteilen, war das Museum um diese Zeit geöffnet.
Ich fasste mir ein Herz, erklomm die Veranda und trat ein.
Eine kleine über der Tür angebrachte Messingglocke verkündete meinen Besuch.
»Ich komme gleich!«, rief eine Männerstimme von
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