Herz aus Glas (German Edition)
dann in meiner Stimme mitschwang, wenn ich Madeleines Namen aussprach. »Der Inselfluch«, murmelte er und machte dabei ganz den Eindruck, als wäre er von dieser alten Sage genervt. »Ja, das ist eine der großen Geschichten dieser Tragödie. Man erzählt sie sich gern auf diesem Teil der Insel.«
»Wissen Sie mehr darüber?«
Adam verschränkte die Arme vor der Brust. »Selbstverständlich. Aber ich weise Sie vorsorglich darauf hin, dass alles, was ich Ihnen jetzt erzähle, nicht historisch belegt ist. Bis auf die Tatsache natürlich, dass Madeleine Bower an Bord war und starb. Ihre Geschichte ist im Laufe der Zeit immer mehr ausgeschmückt worden und hat inzwischen, nun, sagen wir, legendenhafte Züge angenommen.«
Er war definitiv kein Fan dieser Geschichte, dachte ich. Seine Miene verfinsterte sich von Sekunde zu Sekunde mehr, während er weitersprach.
»Man erzählt sich, dass Madeleine Bower auf dem Weg nach Savannah war, um dort zu heiraten. Wahrscheinlich hat sie, wie viele der anderen Passagiere auch, versucht, sich in der Takelage des gekenterten Schiffes festzuhalten. Aber ihre Kraft reichte nicht aus, um durchzuhalten, bis Rettung kam. Mit ihrem letzten Atem soll sie die Gay-Head-Klippen verflucht haben. Niemals mehr sollte auf diesem Teil der Insel ein Paar in der Liebe glücklich werden.« Als Adam sah, wie meine Augen sich verengten, zuckte er mit einem bedauernden Lächeln die Achseln. »So ist die Legende. Ich kann es leider nicht ändern!«
Ich erkannte, dass er meinen Gesichtsausdruck falsch gedeutet hatte. Er glaubte offenbar, ich mache mich über diese Geschichte lustig. Sicherheitshalber setzte ich den aufmerksamsten Ausdruck auf, den ich draufhatte, und er sprach weiter.
»Eine Zeit lang nach dem Unglück war all das nur eine Geschichte, die man sich abends am Kaminfeuer erzählte.« Er strich jetzt geistesabwesend über die Glasplatte der Vitrine. »Aber irgendwann begann diese unselige Geschichte unglücklicherweise, ein Eigenleben zu entwickeln.«
»Was meinen Sie?«, fragte ich. Mein Blick hing an einem Perlenarmband in der Vitrine. Es war eher unwahrscheinlich, dass es Madeleine Bower gehört hatte, aber trotzdem wirkte es auf einmal so verloren und traurig auf mich, dass mir die Kehle eng wurde.
»Jason Bells Vorfahre George Bell baute sein Anwesen Sorrow auf genau jenen Klippen und nur wenige Jahr später brannte es ab. Es heißt, George Bell habe den Verstand verloren und es selbst angezündet. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt ging es los. Immer wieder springen seitdem Frauen von den Klippen in den Tod.« Seine Lippen pressten sich aufeinander.
»Sorrow brannte ab«, wiederholte ich.
Adam nickte. »Man hat es kurz danach wieder aufgebaut.«
»Und es waren immer Frauen aus der Familie Bell, die sprangen?«
Frauen wie Amanda Bell.
Und Charlie.
»Nicht immer, aber oft.« Wieder nickte Adam. »Worüber denken Sie nach?« Seine Frage riss mich aus meinen Grübeleien und ich erkannte, dass ich mehrere Minuten lang schweigend vor mich hin gestarrt hatte. »Wissen Sie, wie viele Frauen von den Klippen schon in den Tod gesprungen sind?«, fragte ich mit rauer Stimme.
Adams Kehlkopf ruckte. »Es gibt darüber natürlich keine Statistiken. Die Inselchronik spricht von einem Dutzend seit dem Untergang der City of Columbus . Die meisten kamen aus der Familie Bell. In den Vierzigern des letzten Jahrhunderts gab es einmal eine kleine Häufung, als kurz nacheinander drei Frauen und auch ein Mann in die Fluten sprangen. Ich persönlich denke, dass eher der Zweite Weltkrieg der Grund war und weniger diese Legende.« Er hielt inne und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Nun ja. Meine Großmutter hat intensiv über diese drei Frauen geforscht. Wenn es Sie interessiert …« Er wandte sich ab und ging zu einem Regal, das neben dem Kamin stand. Kurz ließ er seinen Finger über die Reihen der in Leder gebundenen Bücher gleiten, dann zog er eines davon heraus. »Das hier ist ihr Tagebuch. Wenn Sie möchten, können Sie es gerne lesen, solange Sie auf der Insel sind.«
Ich bedankte mich für dieses freundliche Angebot. »Ich komme darauf zurück«, versprach ich ihm und er stellte das Buch wieder weg. »Dann war also in den Vierzigerjahren die letzte Welle von Selbstmorden?«
Sein Gesicht verfinsterte sich. »Ich fürchte Nein. Vor knapp zwanzig Jahren gab es noch einmal eine. Eine junge Frau von der Insel verschwand, nachdem sie zuletzt auf dem Weg zu den Klippen gesehen worden war. Sie
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