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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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wieder versiegelt. Als er bei den Mahlzeiten die ewigen Streitereien der Männer um Vorrang satt hatte,
     ließ er einen riesigen runden Tisch anfertigen, um den ein eigenes Haus errichtet werden mußte. Das war die Messe der Station.
     Wo er saß, war der erste Platz – die anderen waren nirgendwo. Und genau das entsprach wohl seiner unerschütterlichen Überzeugung.
     Er war weder höflich noch unhöflich. Er war gelassen. Seinem ›Boy‹– einem überfütterten kleinen Neger von der Küste – erlaubte |37| er, die weißen Männer vor seinen Augen mit unverschämter Frechheit zu behandeln.
    Kaum hatte er mich gesehen, begann er zu sprechen. Ich sei sehr lange unterwegs gewesen. Er habe nicht warten können. Habe
     ohne mich aufbrechen müssen. Den Stationen flußaufwärts mußte geholfen werden. Es habe bereits so viele Verspätungen gegeben,
     daß er nicht wisse, wer tot und wer am Leben sei und wie sie vorankämen – und so weiter und so weiter. Meinen Erklärungen
     hörte er gar nicht zu und wiederholte, während er mit einer Stange Siegellack spielte, mehrere Male, die Lage sei ›sehr ernst,
     sehr ernst‹. Es gebe Gerüchte, daß eine sehr wichtige Station in Gefahr sei und ihr Leiter, Mr.   Kurtz, krank. Er hoffe, es sei nicht wahr. Mr.   Kurtz sei   ... Ich war erschöpft und gereizt. Zum Henker mit Kurtz, dachte ich. Ich unterbrach ihn, indem ich sagte, ich hätte an der
     Küste von Mr.   Kurtz gehört. ›Aha! Sie reden also schon da unten über ihn‹, murmelte er. Dann begann er mir zu versichern, Mr.   Kurtz sei der beste Agent, den er habe, ein außergewöhnlicher Mann, von enormer Wichtigkeit für die Firma; daher müsse ich
     seine Nervosität verstehen. Ihm sei, sagte er, ›sehr, sehr unbehaglich zumute‹. Wirklich rutschte er die ganze Zeit auf seinem
     Stuhl herum, rief: ›Ah! Mr.   Kurtz‹, zerbrach die Stange Siegellack und schien erschrocken über das Malheur. Als nächstes wollte er wissen, ›wie lange
     es dauern würde, bis   ... ‹ Wieder unterbrach ich ihn. Ich hatte Hunger, versteht ihr, und da ich mich nicht setzen durfte, wurde ich zornig. ›Wie
     soll ich das wissen‹, sagte ich, ›ich habe das Wrack noch nicht einmal gesehen. Ein paar Monate bestimmt.‹ Das ganze Gerede
     schien mir so sinnlos. ›Ein paar Monate‹, wiederholte er. ›Nun, sagen wir, drei Monate, bevor wir aufbrechen können. Ja. Das
     sollte die Angelegenheit beheben.‹ Ich stürzte aus seiner Hütte (er wohnte allein in einer Lehmhütte mit einer Art Veranda)
     und murmelte vor mich hin, was ich von ihm hielt. Er war ein |38| geschwätziger Idiot. Später nahm ich es zurück, als mir ganz plötzlich klar wurde, wie äußerst präzise er die Zeit kalkuliert
     hatte, die für die ›Angelegenheit‹ vonnöten war.
    Ich begann gleich am nächsten Tag zu arbeiten und wandte der Station sozusagen den Rücken zu. Nur so, schien mir, konnte ich
     die rettenden Tatsachen des Lebens im Griff behalten. Trotzdem, hin und wieder muß man um sich blicken; und dann sah ich die
     Station, die Männer, die ziellos im Sonnenschein auf dem Hof herumschlenderten. Ich fragte mich manchmal, was das alles zu
     bedeuten hätte. Sie spazierten mit ihren lächerlich langen Stäben in der Hand hin und her wie ein Haufen ungläubiger Pilger,
     die durch einen Zauber in einem verfallenden Gehege festgehalten wurden. Das Wort ›Elfenbein‹ hing in der Luft, wurde geflüstert,
     wurde geseufzt. Man konnte glauben, sie beteten es an. Ein Hauch von schwachsinniger Habgier durchzog alles wie Leichengeruch.
     Alle Wetter! In meinem ganzen Leben habe ich nichts Unwirklicheres gesehen. Und draußen die schweigende Wildnis, die dieses
     gerodete Fleckchen Erde umgab, sie erschien mir wie etwas Großes, Unbesiegbares – wie das Böse oder das Wahre   –, das geduldig wartete, bis diese phantastische Invasion wieder verschwand.
    Oh, diese Monate! Aber egal. So manches geschah. Eines Abends ging ein Grasschuppen voller Kattun, bedruckter Baumwolle, Glasperlen,
     und ich weiß nicht was noch, so plötzlich in Flammen auf, daß man meinen konnte, die Erde hätte sich aufgetan, um den ganzen
     Tand in einem rächenden Feuer zu verzehren. Ich rauchte gerade in aller Stille meine Pfeife bei meinem abgetakelten Dampfer
     und sah zu, wie sie alle mit erhobenen Armen im Feuerschein herumsprangen, als der untersetzte Mann mit dem Schnauzer zum
     Fluß hinunterstürzte, einen Blecheimer in der Hand, und mir versicherte, daß sich

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