Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
Vom Netzwerk:
bewahren. Zuerst war ich perplex, doch bald wurde ich furchtbar
     neugierig darauf, was er von mir erfahren würde. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was an mir war, das ihn
     interessierte. Es war sehr komisch zuzusehen, wie er sich täuschte, denn in Wirklichkeit hatte ich nichts als Schüttelfrost
     in den Knochen und die Sorge um den elenden Dampfer in meinem Kopf. Offensichtlich hielt er mich für einen vollkommen schamlosen
     Ränkeschmied. Am Ende wurde er wütend und gähnte, um eine Regung heftigen Ärgers zu verbergen. Ich erhob mich. Dann entdeckte
     ich eine kleine Ölskizze auf einer Holztafel, eine verhüllte Frau mit verbundenen Augen, die eine brennende Fackel trug. Der
     Hintergrund war dunkel – fast schwarz. Die Bewegung der Frau war majestätisch, und der Fackelschein warf einen unheilvollen
     Glanz auf ihr Gesicht.
    Ich war wie gebannt, und er stellte sich höflich neben mich und hielt mir eine kleine leere Champagnerflasche (für medizinische
     Zwecke) hin, in der eine Kerze steckte. Auf meine Frage antwortete er, es sei von Mr.   Kurtz – er habe es hier auf der Station gemalt, vor mehr als einem Jahr   –, als er auf die Mittel wartete, um an seinen Handelsposten weiterzureisen. ›Bitte, sagen Sie mir‹, fragte ich, ›dieser Mr.   Kurtz, wer ist das?‹
    ›Der Leiter der Inneren Station‹, antwortete er kurz und sah weg. ›Vielen Dank‹, sagte ich lachend. ›Und Sie sind der Ziegelmacher
     der Zentralstation. Das weiß jeder.‹ Er schwieg eine Weile. ›Er ist ein Phänomen‹, sagte er endlich. ›Er ist der Sendbote
     der Menschenliebe, der Wissenschaft, des Fortschritts |42| , und weiß der Teufel, wovon noch. Wir brauchen‹, plötzlich wurde er feierlich, ›für die Leitung der Mission, mit der Europa
     uns betraut hat, um es so auszudrücken, höhere Intelligenz, umfassendes Mitgefühl, Entschlossenheit.‹ ›Wer sagt das?‹ fragte
     ich. ›Viele‹, gab er zurück. ›Manche schreiben es sogar; also taucht
er
hier auf, ein besonderes Wesen, wie Sie wissen sollten.‹ ›Und warum sollte ich das wissen?‹ unterbrach ich, denn jetzt war
     ich wirklich überrascht. Er ignorierte meinen Einwurf. ›Ja. Heute ist er der Leiter der besten Station, nächstes Jahr stellvertretender
     Manager, noch zwei Jahre, und dann   ... Doch ich vermute, Sie wissen, was er in zwei Jahren sein wird. Sie gehören doch auch zu den Neuen – den Tugendhaften.
     Dieselben Leute, die ihn eigens herschickten, haben auch Sie empfohlen. Oh, streiten Sie es nicht ab. Ich glaube, was ich
     sehe.‹ Langsam dämmerte es mir. Die einflußreichen Bekannten meiner lieben Tante hatten eine unerwartete Wirkung auf diesen
     jungen Mann. Fast lachte ich laut heraus. ›Lesen Sie die vertrauliche Korrespondenz der Firma?‹ fragte ich. Darauf hatte er
     nichts zu sagen. Es war wirklich drollig. ›Wenn Mr.   Kurtz General Manager ist‹, fuhr ich streng fort, ›werden Sie das nicht mehr können.‹
    Er blies die Kerze schnell aus, und wir gingen hinaus. Der Mond war aufgegangen. Schwarze Gestalten liefen ziellos umher,
     schütteten Wasser auf die Glut, es zischte; Dampf stieg im Mondlicht auf; irgendwo stöhnte der geschlagene Neger. ›Was für
     einen Lärm dieser Hund macht!‹ rief der unermüdliche Mann mit dem Schnauzer, der neben uns auftauchte. ›Geschieht ihm recht.
     Vergehen   – Strafe – peng! Unbarmherzig, unbarmherzig. Nur so geht es. Das wird Brandstiftungen für alle Zukunft verhindern. Eben habe
     ich dem Manager erzählt   ... ‹ Als er meinen Begleiter sah, ließ er den Kopf hängen. ›Noch nicht im Bett‹, sagte er mit einer Art unterwürfiger Herzlichkeit,
     ›das ist nur natürlich. Ha! Gefahr   – Aufregung.‹ |43| Er verschwand. Ich ging zum Flußufer, der andere folgte mir. Verächtlich flüsterte er mir ins Ohr: ›Ein Haufen Stümper – nur
     weiter.‹ Die Pilger standen fuchtelnd in Grüppchen und diskutierten. Einige hatten immer noch ihre Stäbe dabei. Ich glaube
     wirklich, daß sie die Stäbe mit ins Bett nahmen. Jenseits des Zauns im Mondschein erhob sich gespenstisch der Urwald, und
     durch das trübe Getümmel, die schwachen Geräusche auf dem erbärmlichen Hof, fuhr einem die Stille des Landes direkt ins Herz
     – sein Geheimnis, seine Größe, die verwirrende Wirklichkeit seines verborgenen Lebens. Der verletzte Nigger wimmerte irgendwo,
     ganz in der Nähe, dann stieß er einen Seufzer aus, der mich veranlaßte, schneller zu gehen.

Weitere Kostenlose Bücher