Herz im Zwiespalt (German Edition)
gespannt den Atem an. Die Musik setzte wieder ein und der Mantel sank zu Boden. Lizz erkannte das Mädchen sofort. Es war die stolze Schönheit, die sie bereits am Nachmittag gesehen hatte. Auch jetzt spiegelten ihre ebenmäßigen Züge jene stille Trauer. Sie bewegte sich in fließender Harmonie, erst langsam die Hüften wiegend, dann mit den Händen um sich greifend, als wollte sie ihren Liebsten zu sich in den Feuerkreis ziehen. Ihre Bewegungen waren Anmut und Sehnsucht zugleich, doch dann wurden sie leidenschaftlicher und wilder. Ihr schwarzes, offenes Haar wirbelte um ihren Körper herum, während sie sich im Kreis drehte. Die Musik schwoll zu einem unglaublichen Crescendo an, und die Zigeunerin drehte sich immer schneller, bis sie die Arme über den Kopf warf und urplötzlich in einer Stichflamme verschwand. Im selben Augenblick verstummte auch die Musik. Zurück blieb nur ein dichter, blauer Nebel.
Es war totenstill im königlichen Garten. Als sich der Rauch langsam verzog, saß eine große Eule im Feuerkreis, blickte mit ihren stechenden Augen in die Runde und erhob sich lautlos in den Nachthimmel hinauf.
Die Stille dauerte an. Nur nach und nach erholten sich die Gäste und begannen lauthals zu jubeln und zu applaudieren.
Der Abend schritt voran und die Hofgesellschaft verteilte sich auf die verschiedenen Attraktionen der Zigeuner. Lizz achtete sorgfältig darauf, dass sie sich nie am selben Ort wie George Douglas aufhielt. Ihr war aufgefallen, dass er sie oft beobachtete und mit verkniffenem Gesicht vor sich hin brütete. Ich habe dich schon in den Armen so vieler verschiedener Männer gesehen, fielen ihr seine verletzenden Worte wieder ein. Mein Gott, wenn er sie wegen der harmlosen Tänze schon verachtet hatte, was sollte er jetzt wohl von ihr denken? Lizz sagte sich zwar immer wieder, dass es ihr vollkommen gleichgültig sein konnte, was dieser schreckliche Kerl von ihr hielt – doch leider sah die Wahrheit ganz anders aus. Es war vollkommen absurd, doch sie wollte nicht, dass er sie für liederlich hielt. Lizz schüttelte ärgerlich den Kopf. Sie dachte entschieden zu oft an diesen Kerl.
Annabella schien die Freude an diesem Fest vergangen zu sein. Denn je mehr Met und Wein in den Kehlen der Männer versickerte, desto derber und anzüglicher wurden ihre Ausrufe. Selbst Lizz musste sich ständig gegen aufdringlich grapschende Hände zur Wehr setzen, ein Umstand, der ihr vollkommen fremd war und der sie zunehmend verärgerte. Besonders der alte Lord Howard schien seine schmutzigen Hände nicht von ihr lassen zu können. Zu betrunken zwar, um sich noch gerade halten zu können, trafen seine gichtgekrümmten Finger doch stets zielsicher ihr Hinterteil. Lizz reagierte jedes Mal mit einer Gänsehaut. Dieser alte Lustmolch!
»Lizz, ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns zurückziehen. Wenn mich nur noch ein einziger Kerl in den Hintern zwickt, ziehe ich meine Schuhe aus und schlag ihn damit tot. Das schwöre ich dir!«, stieß Annabella aufgebracht hervor.
Lizz nickte und sah sich auf der Wiese um: »Ich verstehe, was du meinst. Aber ich muss unbedingt noch mit Allan sprechen. Du hast ihn nicht zufällig gesehen?«
»Vorhin stand er noch dort drüben ...« Sie zeigte auf eine kleine Menschenmenge, die sich um eine Schießscheibe versammelt hatte. Ein Messerwerfer führte dort gefährliche Kunststücke vor. Eine wunderschöne Zigeunerin war an die Scheibe gebunden und zuckte mit keiner Wimper, als die Messer in kurzer Folge dicht um ihren Körper herum einschlugen. Der Beifall der Zuschauer war ohrenbetäubend.
Lizz beäugte skeptisch die Männer. »Ich glaube, ich verschiebe das Gespräch doch lieber auf morgen.«
»Na, dann nichts wie weg hier«, flüsterte Annabella und setzte sich in Bewegung. Sie hatten die Menge bereits hinter sich gelassen, als Lizz plötzlich mitten im Schritt inne hielt.
»Bindet den Knaben an die Scheibe«, rief William, ihr Bruder, gerade lautstark. Lachen und Grölen erstickten die ängstlichen Schreie des kleinen Jungen.
Annabella und Lizz verfolgten ungläubig, wie zwei Männer vom Gordon-Clan einen sich wild wehrenden Jungen an die hölzerne Scheibe banden.
»Das wird William nicht wagen«, keuchte Annabella entsetzt.
Lizz wusste es leider besser. Ihr Bruder war bereits im nüchternen Zustand unberechenbar, doch betrunken stellte er tatsächlich eine Gefahr dar – und betrunken war er, kein Zweifel.
Selbst aus der Ferne erkannte Lizz, dass es zweier Männer
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