Herz im Zwiespalt (German Edition)
George gesehen hatte. Sie lag also richtig mit ihrer Vermutung. Ihre Stimme wurde milder.
»Du wirst dich jetzt in deine Gemächer begeben und deinen Rausch ausschlafen. Wenn du wieder klar im Kopf bist, könnt ihr euch beide wie zivilisierte Menschen unterhalten.«
Sie wandte sich an ihren Mann, um ihm die endgültige Entscheidung zu überlassen. Als sie in sein attraktives Gesicht aufsah, erfüllte ein warmes Ziehen ihre Brust. Der Ärger war von ihm abgefallen und nun spiegelte sich aufrichtige Betroffenheit in seinem Blick. In einer Aufwallung von Zärtlichkeit hob Lizz liebevoll die Hand an seine Wange. »Mach dir keine Vorwürfe, George. Du konntest es nicht wissen.«
George presste sanft seine Lippen auf ihren Handrücken, ein Ausdruck seiner Dankbarkeit und all der wilden Gefühle, die gleichzeitig auf ihn einstürmten und ihn bis in die Grundfeste seines Selbst erschütterten. Einen verwirrenden Augenblick lang glaubte er sein, Herz müsste zerbersten vor Sehnsucht, als er in ihr zart geschnittenes Gesicht schaute. Ihre Augen – smaragdgrüne Seen voller Mitgefühl und Zärtlichkeit, ihre Lippen mit diesem unsicheren, liebevollen Lächeln ... Großer Gott, es gab es noch: jenes Mädchen aus dem Wirtshausstall, nach dem er sich so schmerzlich verzehrte. Er las das tiefe Verstehen in ihren wunderschönen Augen und glaubte sich in jene Nacht zurückversetzt. Sie stand vor ihm. So dicht, dass er ihre Wärme spüren konnte. So nah, dass er ihren zarten Rosenduft wahrnahm. Urplötzlich verspürte er den heftigen Drang, sie in seine Arme zu reißen. Er wollte sie festhalten, damit sie ihn nie wieder verlassen konnte ...
Sekunden später jagten ihm diese Gefühle eine Heidenangst ein. Er durfte sich Lizz nicht ausliefern. Wenn sie jemals erfuhr, welche Macht sie über ihn besaß, wäre es sein Untergang.
George nickte den beiden Soldaten zu. »Helft meinem Bruder in seine Gemächer.«
25
Einen Großteil des Nachmittags verbrachte Lizz in der kleinen Bibliothek mit Briefeschreiben. Sie hatte sich vom ersten Augenblick an in diesen gemütlichen Raum verliebt; nicht der vielen Bücher, sondern der Aussicht wegen, die von hier schlichtweg atemberaubend war. Die Bibliothek befand sich im zweiten Stockwerk und hatte ein riesiges Fenster mit Sicht aufs Meer. Nichts als azurblaues Wasser, soweit das Auge reichte.
Lizz wartete ungeduldig auf Georges Rückkehr – doch er kam nicht.
Anscheinend hatte er sie wieder einmal vergessen. Die bittere Enttäuschung, die mit dieser Erkenntnis einher ging, zerrte an ihren Nerven.
Ärgerlich warf sie die Schreibfeder hin und marschierte in die Halle hinunter. Sie fand sie leer vor. Nicht einmal Bedienstete waren zugegen. Beim näheren Hinsehen entdeckte sie jedoch graues Fell unter einem der Tische. Eine kleine, schmutzige Hand lag auf dem struppigen Haar. Lizz trat näher und hob neugierig das Tischtuch an. Sogleich trat ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. Archie schlief gottergeben inmitten seiner Freunde. Die beiden Wolfshunde hoben die mächtigen Köpfe und fixierten Lizz mit warnenden gelben Augen.
»Keine Angst, ich werde eurem Schützling nichts tun.«
Als sie Schritte von der Treppe her hörte, wandte sie sich um. William Douglas stand frisch gebadet, rasiert und reichlich verlegen dort.
»Mylord«, begrüßte sie ihn mit einem knappen Nicken.
»Ich nehme an, es ist an der Zeit, mich bei dir zu entschuldigen«, erklärte dieser und schlenderte unbehaglich näher.
Wenige Meilen entfernt biss George die Zähne fest zusammen. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, während seine Armmuskeln deutlich hervortraten.
»Noch ein Stück!«
Gemeinsam mit vier anderen Männern bot er all seine Kraft auf, um den umgekippten Wagen anzuheben.
»Jetzt! Zieht ihn hervor«, keuchte er und beobachtete, wie man den verletzten Mann unter dem schweren Gefährt hervorzog. Dieser schrie auf vor Schmerz. Gleich darauf verlor er das Bewusstsein.
George erkannte auf den ersten Blick, dass beide Beine gebrochen waren. Verdammt und zugenäht, das war heute schon der vierte Unfall dieser Art. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Bei jedem der verunglückten Fuhrwagen war eine Achse gebrochen. Bisher war zum Glück niemand verletzt worden. Doch nun hatte es diesen armen Teufel erwischt. Georges Blick glitt voller Ingrimm gen Himmel. Dicke Regenwolken ballten sich über ihnen zusammen und drohten die Ernte zu ruinieren, wenn sie nicht bald in die trockenen Vorratskammern
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