Herz in Fesseln
machen.“
Bei Damons schroffem Tonfall fuhr Anna zusammen und hob abrupt den Kopf.
Als er die mühsam zurückgehaltenen Tränen in ihren Augen sah, zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Behutsam nahm er ihre Hand und zog sie auf die Füße. „Gehen Sie ins Bad, und machen Sie sich ein bisschen frisch“, forderte er sie heiser auf und wischte ihr mit dem Daumen eine Spur Lippenstift von der Wange.
Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass Anna mehr Ärger und Komplikationen bedeutete, als ihm lieb war, aber offenbar gab es Dinge, die sich jeder rationalen Überlegung widersetzten.
Seit Damon gesehen hatte, wie sie verzweifelt versuchte, sich aus der Umarmung dieses betrunkenen Schönlings zu befreien, befand er sich in einer geradezu aufwühlend streitlustigen Stimmung. Er verstand selbst nicht, woher diese besitzergreifende Anwandlung kam … dieser übermächtige Wunsch, sie zu beschützen, als wäre sie etwas unendlich Kostbares. Er wusste nur, dass er Anna mehr begehrte, als je zuvor eine andere Frau.
Kaum hatte Anna das Bad betreten, schloss sie die Tür hinter sich ab, zog sich hastig aus und stellte sich unter die Dusche. Noch immer fühlte sie sich durch Jacks Berührungen beschmutzt. Während sie mit akribischer Gründlichkeit jeden Zentimeter ihres Körpers einseifte, hörte sie schwache Geräusche aus der Küche, wo Damon wie versprochen Kaffee machte.
Plötzlich war sie wieder fünfzehn Jahre alt und hörte die Schritte ihres Stiefvaters vor der Badezimmertür. Sie wusste, dass er dort sein und ihr auf dem Treppenabsatz auflauern würde, wenn sie das Bad verließ. Natürlich würde er wie stets einen vernünftigen Grund haben, sich dort aufzuhalten. Bei der Erinnerung an seine lüsternen Blicke, mit denen er sie verfolgte, wenn sie in ihr Zimmer flüchtete, schloss sie die Augen und erschauerte.
Du bist wirklich ein hübsches Mädchen, Annie. Das heißt, eigentlich bist du ja gar kein Mädchen mehr. Ich wette, dir schauen auf der Straße alle Männer nach, so wie du dich in letzter Zeit entwickelt hast.
Halt den Mund, Phil, oder ich erzähle es Mum.
Was willst du ihr denn erzählen, Annie? Ich habe doch nur gesagt, dass du eine richtige Augenweide geworden bist.
Reiß dich zusammen!, befahl Anna sich. Du bist nicht mehr fünfzehn, sondern eine erwachsene Frau. Niemand kann dich mehr verletzen und ganz sicher nicht Philip Stone. Sie trat aus der Dusche und betrachtete starr ihr Spiegelbild.
Anfangs hatte er sich noch auf verbale Anzüglichkeiten beschränkt, doch dann fing er an, sie bei jeder Gelegenheit zu berühren. Hier ein spielerischer Klaps auf den Po, da eine Hand, die wie zufällig auf ihrem Schenkel landete. Da hatte sie gewusst, dass sie gehen musste.
Sich ihrer Mutter anzuvertrauen, war für Anna nie infrage gekommen. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe war Judith in ein tiefes seelisches Loch gefallen. Als sie dann Philip kennenlernte, war sie endlich wieder aufgeblüht und schien erneut Freude am Leben zu haben. Unfähig, dieses Glück zu zerstören, hatte Anna ihr erzählt, dass sie sich gemeinsam mit zwei Freundinnen eine Wohnung suchen wolle.
Warum Judiths Ehe mit Philip schließlich auch gescheitert war, wusste Anna nicht, und sie hatte auch nie danach gefragt. Trotz der häufigen Bitten ihrer Mutter war sie nie wieder in das Haus zurückgekehrt, das sie zu hassen gelernt hatte. Jetzt führte sie ein völlig anderes Leben. Sie verdiente mehr Geld, als sie sich je hätte träumen lassen und war in jeder Hinsicht unabhängig. Diese Unabhängigkeit war ihr wichtiger als alles andere, und sie würde sie für nichts und niemanden aufgeben.
„Ist alles in Ordnung, Anna?“, ertönte Damons Stimme durch die Badezimmertür. „Der Kaffee wird langsam kalt.“
„Ja, alles okay. Ich bin gleich fertig.“
Entschlossen wandte Anna sich vom Spiegel ab und schlüpfte in ihren Bademantel. Zum Glück reichte er ihr fast bis zu den Knöcheln und war weit genug, um ihre Kurven zu verbergen. Sie wollte gar nicht erst irgendwelche Missverständnisse aufkommen lassen.
Damon war der anziehendste Mann, dem sie je begegnet war, und sein Kuss hatte gegen ihren Willen den Wunsch nach mehr in ihr geweckt. Doch ihr Selbsterhaltungstrieb gebot ihr, es unter keinen Umständen dazu kommen zu lassen.
5. KAPITEL
Als Anna das Wohnzimmer betrat, saß Damon auf dem Sofa und hörte eine ihrer Lieblings-CDs. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die oberen Hemdknöpfe geöffnet, sodass der
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