Herz in Fesseln
KAPITEL
„Warum musst du nach New York, Papa?“
Damon blickte von seinem Geschäftsbericht auf. Seine kleine Tochter saß auf der anderen Seite seines Schreibtischs und hatte die ordentlichen Papierstapel darauf mit ihren Malbüchern und einer Sammlung bunter Plastikpferde bedeckt.
„Nur Geschäfte, mein Schatz, nichts Besonderes“, gab er ihr lächelnd Auskunft und ignorierte das leichte Flattern in seinem Magen, als er an die bevorstehende Reise dachte.
„Und wie lange bleibst du weg?“, insistierte die Kleine, während sie konzentriert versuchte, die Umrisse eines Hauses auszumalen.
„Ungefähr eine Woche, vielleicht auch zehn Tage.“
„Aber zu meinem Geburtstag bist du wieder da, oder?“
„Glaubst du wirklich, ich würde das wichtigste Ereignis des Jahres versäumen?“
Nie würde Damon jenen Tag vor fast neun Jahren vergessen, an dem er Ianthe zum ersten Mal im Arm gehalten und voller Ehrfurcht ihr winziges, verrunzeltes Gesicht betrachtet hatte. Er und Eleni waren damals außer sich vor Freude gewesen. Wie hätten sie zu diesem Zeitpunkt auch ahnen können, welche Tragödie nur zehn Monate später ihr Glück zerstören sollte?
In der finsteren Zeit nach Elenis Tod hatte allein der Gedanke an Ianthe Damon die Kraft gegeben, morgens das Bett zu verlassen und sich dem neuen Tag zu stellen, und noch immer war sie das Licht seines Lebens. Dass die Kleine sich zu einem so fröhlichen, ausgeglichenen Kind entwickelt hatte, war vor allem seiner Schwester Catalina zu verdanken. Sie hatte mit Freuden alles getan, um ihrer Nichte die Mutter zu ersetzen, und selbst heute noch, nachdem sie geheiratet und drei eigene Kinder bekommen hatte, liebte sie Ianthe wie eine eigene Tochter.
„Gehst du mit mir schwimmen oder hast du zu viel zu tun?“ Ianthe bedachte ihren Vater mit einem Blick, der selbst einen Stein hätte erweichen können.
Wieder einmal musste Damon sich eingestehen, dass er Wachs in den Händen seiner Tochter war. „Für dich bin ich nie zu beschäftigt, mein Engel.“ Er schaltete seinen Computer aus und zwinkerte ihr herausfordernd zu. „Wer zuletzt im Wasser ist, muss zur Strafe zehn Runden schwimmen.“
Das ließ Ianthe sich nicht zweimal sagen. Mit einem übermütigen Lachen sprang sie von ihrem Stuhl auf und schoss wie ein Blitz aus dem Zimmer.
Während Damon ihr ziemlich amüsiert nachblickte, beglückwünschte er sich einmal mehr zu seiner weisen Entscheidung, sie nie dem emotionalen Stress ständig wechselnder Geliebter ausgesetzt zu haben. So hatte er verhindert, dass Ianthe ihr Herz möglicherweise zu sehr an eine seiner Freundinnen hängte, um dann enttäuscht zurückzubleiben, wenn die Affäre beendet war. Gleichzeitig hatte er sich das Schicksal erspart, als alleinerziehender Vater zur begehrten Zielscheibe williger Ersatzmütter zu werden.
Bei Anna würde eine derartige Gefahr allerdings kaum bestehen, dachte er auf dem Weg zum Swimmingpool. Nachdem seine letzte Begegnung mit ihr so katastrophal geendet hatte, war er gleich am nächsten Tag nach Griechenland zurückgeflogen. Sein Vorsatz, sie für immer aus seinem Gedächtnis zu streichen, war jedoch kläglich gescheitert. Jede andere Frau hätte mit einem derart widersprüchlichen Ver halten längst sein Interesse erlöschen lassen, doch bei Anna war das genaue Gegenteil der Fall.
Er begehrte sie mehr denn je und würde nicht eher ruhen, bis er herausgefunden hatte, ob er den knisternden Funken zwischen ihnen nicht doch noch zu einem lodernden Feuer entfachen konnte. Daher kam ihm die Geschäftsreise nach New York ausgesprochen gelegen, denn er wusste, dass Anna sich zurzeit ebenfalls dort aufhielt.
Natürlich kam eine feste Beziehung für ihn nach wie vor nicht infrage. Ihm schwebte eher eine Reihe aufregender sexueller Begegnungen vor, wann immer ihre vollen Terminkalender es zuließen. Noch immer verspürte er ein erregendes Kribbeln, wenn er an Annas leidenschaftliche Reaktion auf ihn dachte. Umso unerklärlicher war es ihm, dass ihr offensichtliches Begehren unvermittelt in heftige Abwehr umgeschlagen war. Und warum war sie so klammheimlich verschwunden, während er telefoniert hatte? Gehörte das zu ihren Gewohnheiten, oder war er der Einzige, der solche extremen Reaktionen bei ihr hervorrief?
Und was ist mir dir?, meldete sich eine innere Stimme zu Wort. Was willst du eigentlich wirklich von dieser Frau?
Um den beunruhigenden Fragen zu entgehen, stürzte Damon sich mit einem geschmeidigen Hechtsprung in den
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