Herz in Fesseln
Pool. Als er wieder auftauchte, paddelte Ianthe neben ihm im Wasser.
„Ich habe gewonnen!“, verkündete sie triumphierend. „Aber mach dir nichts daraus, Papa. Beim nächsten Mal musst du dich eben mehr anstrengen.“
Ein weiser Ratschlag aus dem Munde eines Kindes. Und was Anna betraf, war es genau das, was er zu tun gedachte.
Anna stand am Fenster ihres Hotelzimmers und nahm den Lärm und die hektische Betriebsamkeit des Times Square in sich auf. Als echtes Großstadtkind liebte sie das atemberaubende Tempo der Metropole, die niemals schlief.
Während der vergangenen Woche hatte sie einen dicht gedrängten Terminplan von Fotoshootings und gesellschaftlichen Ereignissen abgearbeitet. Der Kosmetikkonzern, den sie repräsentierte, feierte sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen, und natürlich wurde von ihr erwartet, dass sie an sämtlichen Events und Promiparties teilnahm, die in diesem Rahmen stattfanden.
Nachdem sie letzte Nacht erst im Morgengrauen ins Hotel zurückgekehrt war, hatte sie endlich einmal ausschlafen können und am Nachmittag zur Entspannung einen Einkaufsbummel auf der 5th Avenue gemacht. Nicht, dass sie neue Garderobe gebraucht hätte, aber es hatte zumindest ihre Gedanken von einem gewissen Griechen abgelenkt.
Seit jenem missglückten Abend in Damons Londoner Hotelsuite waren jetzt zwei Wochen vergangen. Genauer gesagt waren es zwei Wochen, drei Tage und achtzehn Stunden. Seitdem hatte Anna nichts mehr von ihm gehört, und sie hatte es auch nicht erwartet. Nach ihrem hysterischen Ausbruch und der kopflosen Flucht aus seinem Schlafzimmer war es mehr als verständlich, dass er jedes Interesse an ihr verloren hatte.
Im Grunde sollte es ihr gleichgültig sein. Für einen arroganten, anmaßenden Macho war kein Platz in ihrem Leben, mochte er auch noch so attraktiv und charismatisch sein.
Sei froh, dass dieses Kapitel endlich beendet ist, sagte sie sich immer wieder. Doch leider half es nichts gegen den nagenden Schmerz in ihrem Herzen.
Hinter den Kulissen wartete Anna auf ihren Auftritt. Die große Wohltätigkeitsmodenschau, die von internationalen Topdesignern gesponsert wurde, war ein glanzvolles Ereignis, zu dem sich New Yorks gesamte Elite versammelt hatte.
„Da draußen ist kein einziger freier Platz mehr“, flüsterte Gina. Das blutjunge Model nahm zum ersten Mal an einer Show dieser Größenordnung teil und war entsprechend ner vös. „Wie kannst du bloß so ruhig sein? Mir ist schon ganz schlecht vor Aufregung.“
Anna lächelte ihrer jungen Kollegin aufmunternd zu. „Schau einfach geradeaus, und sieh auf keinen Fall ins Publikum“, riet sie ihr. „Und nun komm, jetzt sind wir an der Reihe.“
Selbstbewusst straffte sie die Schultern und trat hinaus ins blendende Scheinwerferlicht. Nach acht Jahren im Geschäft wusste sie genau, wie sie das hinreißende Abendkleid, das sie trug, optimal zur Geltung bringen konnte. Noch vier Schritte, dann eine kurze Pause. Posieren, umdrehen, noch einmal posieren und wieder zurückgehen. Das Muster war vertraut, und später hätte sie nicht sagen können, was sie veranlasst hatte, ihren eigenen Ratschlag zu ignorieren und einen kurzen Blick in den Zuschauerraum zu werfen.
Die breiten Schultern und die arrogante Kopfhaltung waren unverwechselbar.
Für den Bruchteil einer Sekunde geriet Anna fast aus dem Rhythmus, dann hatte sie die Situation wieder unter Kontrolle.
Mit einer gekonnten Drehung wandte sie sich der anderen Seite des Publikums zu und blieb einen Moment lang in einer kunstvollen Pose stehen, bevor sie den Laufsteg wieder verließ. Währenddessen überschlugen sich ihre Gedanken förmlich. Was in aller Welt tat Damon hier? War es nur Zufall, oder hatte eine seiner Freundinnen ihn überredet, sie zu begleiten? Was auch immer ihn hierher geführt hatte – nach ihrem unrühmlichen Auftritt bei ihrer letzten Begegnung war er sicher nicht ihretwegen gekommen.
Der Rest des Abends war eine einzige Zerreißprobe für Annas Nerven. Nur dank ihrer Professionalität und dem Einsatz ihrer eisernen Willenskraft gelang es ihr, die Show bis zum Finale durchzustehen. Jedes Mal, wenn sie sich dem Ende des Laufstegs näherte, klopfte ihr das Herz zum Zerspringen, doch sie zwang sich dazu, Damon kein zweites Mal anzusehen.
Er war ein Playboy. Ein unverbesserlicher Schürzenjäger wie ihr Vater. Das durfte sie nie vergessen, mochte die kleine Stimme in ihr auch noch so hartnäckig darauf bestehen, dass er die andere Hälfte ihrer Seele war
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