Herz in Gefahr (German Edition)
blickte er zum fernen Horizont.
Die Morgendämmerung begann bereits, das Dunkel zu lichten.
Eine Amsel hatte ihr erstes Lied angestimmt, und über die Wiese, auf der sie lagen, legte sich wie ein glänzendes Tuch der Tau.
Helen hatte aufmerksam und gespannt Robins Erzählung gelauscht. Nun richtete sie sich auf, streckte die Glieder und fragte: »Hast du je erfahren, wo Sir Matthew zur Zeit der Schlacht, als der Earl verwundet auf dem Kampfplatz lag, geblieben war? Und weißt du, warum er den Verletzten liegen gelassen hat?«
Robin schüttelte den Kopf.
»Ich möchte nicht glauben, dass er den verletzten, hilflosen Clifford einfach verlassen hat, um sein eigenes Leben zu retten, doch eine andere Erklärung kann ich nicht dafür finden.«
»Hast du ihn denn nie danach gefragt?«, wollte Helen wissen.
»Das habe ich, aber er blieb mir die Antwort schuldig. Ein Kamerad erzählte später, er habe ihn das Hasenpanier ergreifen sehen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, und inzwischen ist es mir gleichgültig geworden. Unser Herr ist tot, und niemand kann ihn wieder lebendig machen. Ein jeder berichtet nach einer Schlacht von seinen persönlichen Heldentaten. Doch wenn man all diesen Berichten Glauben schenken wollte, dann gäbe es nur ruhmreiche Sieger auf jeder Seite.«
»Warum musstest du den fremden Recken töten? War er nicht schon so verletzt, dass du ihm ohne Schwierigkeiten den Beutel hättest abnehmen können?«
»Vielleicht. Doch er war mein Feind und schon deshalb zum Tode verurteilt.«
»Würdest du jeden töten, der sich dich zum Feind macht?«, fragte Helen weiter.
»Jeden, der mich, meine Familie oder meinen Besitz bedroht«, antwortete er bestimmt.
»Dann hat der Franzose also einen unnötigen Tod gefunden«, stellte Helen fest.
»Er hat sich mir in den Weg gestellt«, erwiderte Robin einfach, doch mit einer Stimme, die dazu riet, dieses Thema besser zu beenden.
Nachdenklich blickte Helen in den Himmel, an dem die Sonne nun aufstieg wie ein glühender Feuerball. Ein erster Strahl fiel auf ihr Haar und ließ es aufleuchten wie Kupfer.
»Lass uns zu Bett gehen, du siehst müde aus«, sagte Robin, stand auf und reichte Helen die Hand. Willig ließ sie sich hochziehen und kuschelte sich im Gehen eng an den Geliebten. Als sie den Burghof erreichten und sich voneinander verabschiedeten, um in verschiedenen Räumen noch ein wenig Schlaf zu finden, fiel Helen noch etwas ein.
»Ich habe noch nie einen solchen Ring, wie du ihn trägst, an Matthews Hand gesehen«, stellte sie fest.
»Er hat ihn, soviel ich weiß, auch nie getragen«, antwortete Robin.
»Warum nicht? Er scheint sehr wertvoll zu sein und ist ein prächtiges Schmuckstück, das auch ihm gut stünde und zur Ehre gereichen würde.«
»Vielleicht fürchtet er, ein Elender zu sein«, erwiderte Robin mit leisem Spott. Dann küsste er Helen noch einmal behutsam auf die Stirn und ging über den Innenhof zu seiner Schlafkammer davon.
4. Kapitel
Die letzten Gäste des großen Verlobungsfestes waren noch nicht abgereist, als Helen bereits damit begann, sich auf ihre zukünftigen Pflichten als Ehefrau und Herrin auf Bloomfield vorzubereiten. Seit ihrem siebenten Lebensjahr war sie von Hauslehrern unterrichtet worden, sodass sie die Kunst des Schreibens und Lesens vorzüglich beherrschte. Sie las mit Vorliebe in Gebetbüchern, beschäftigte sich mit Erzählungen und Poesie. Helen sprach sogar leidlich französisch. Sie war in der Lage zu reiten, Falken zu züchten und bei der Jagd einzusetzen. Sie spielte Schach, konnte tanzen, singen, Gedichte vortragen und hatte sich die Grundlagen von Ovids ›Liebeskunst‹ angeeignet. Doch all das genügte ihr nicht. Sie war zeitlebens neugierig und wissensdurstig gewesen und brannte nun darauf, von Margaret in die grundlegenden Geheimnisse der Heil- und Kräuterkunde eingeführt zu werden, um bei Krankheitsfällen selbst Hand anlegen zu können oder zumindest darauf zu achten, dass windige Quacksalber in ihrem Heim keinen Schaden anrichten konnten.
Margaret und Helen brachen früh am Morgen auf. Der Nebel lag noch über den Wiesen, als sie sich in den Wald aufmachten, um Kräuter zu sammeln und Pflanzen zu bestimmen. Sie hatten sich noch nicht allzu weit von der Burg entfernt, als hinter ihnen Rufe ertönten: »Helen, Margaret, so wartet doch!«
Die beiden Frauen wandten sich um und sahen Helens kleinen Bruder Andrew über die Wiesen laufen. Andrew, der vor wenigen Monaten mit seiner Ausbildung zum
Weitere Kostenlose Bücher