Herz in Gefahr (German Edition)
herschwankte. Sie sah das Gesicht ihres Vaters, das vom Schmerz wie versteinert schien. Langsam erreichte der traurige Tross die Burg. Im Innenhof hielten sie an. Wieder war es der Rittmeister, der alles Notwendige in die Wege leitete. Er schickte eine Magd ins nahe Kloster nach Pater Gregor, hob die kleine Leiche vom Pferd und hielt sie im Arm, bis die Frauen, die den kleinen Andrew waschen und aufbahren sollten, auf dem Hof erschienen.
Lord Waterhouse war auf dem Rücken seines Rosses zusammengesunken, sodass er mit der Stirn den Hals des Pferdes berührte. Es war, als wäre alle Kraft aus ihm gewichen. Helen trat hinzu und berührte ihren Vater vorsichtig am Bein. Doch er reagierte nicht. Wie erstarrt saß er auf seinem Schimmel. Der Anblick seiner Qual ließ nun auch bei Helen alle Dämme brechen. Hilflos wie ein kleines Mädchen stand sie neben dem Pferd ihres Vaters und weinte lautlos. Der Schmerz, der bisher dumpf in ihrer Brust gehockt hatte, brach aus ihr hervor wie ein Gewittersturm. Das Schluchzen schüttelte ihren ganzen Körper. Sie sank neben dem Pferd ihres Vaters in die Knie, hielt dabei seinen Stiefel verzweifelt umklammert und weinte, weinte, weinte. »Vater!«, flüsterte sie und schaute flehend auf. »Vater! Bitte! Sieh mich an! Sprich mit mir! Sag etwas!« Helen fühlte sich so verlassen, so einsam und trostlos in ihrem Leid! Ihr Vater – an seine Brust wollte sie sich werfen, er sollte sie halten, sie wiegen und trösten und zuihr sprechen! Sie hatte Andrew verloren. War das nicht schlimm genug? Ließ der Vater sie nun auch noch allein? Doch Lord Waterhouse rührte sich nicht, schüttelte nur kaum merklich sein Haupt.
Die Bediensteten standen dabei und wussten nicht, was sie tun sollten. So manch einer von ihnen hatte auch mit den Tränen zu kämpfen. Schließlich ging Margaret zu der Weinenden und zog sie tröstend an die Brust, obwohl auch ihr die Tränen über die Wangen liefen. Endlich, nach schier endlosen Minuten, stieg der alte Lord müde von seinem Pferd. Er schlang seine Arme um die beiden Frauen, als suche er bei ihnen eine Stütze, und gemeinsam standen sie da, verbunden in unendlichem Leid und Schmerz und doch ganz allein auf der Welt. Sie hielten sich umschlungen, als bräuchten sie dieses kleine bisschen Halt, um weiter leben, weiter existieren, weiter atmen zu können. Denn dass das Leben auf Waterhouse sich vom heutigen Tag an verändert hatte und wohl niemals mehr so fröhlich wie einst werden würde, ahnten wohl alle.
Einige Zeit später erschien Pater Gregor. Margaret führte ihn in die kleine Hauskapelle, in der Andrews Leiche nun aufgebahrt lag. Die Kerzen, die am Kopf- und Fußende der Bahre aufgestellt waren, warfen zuckende Schatten auf das Bild der Mutter Gottes, die hinter dem Altar an die Wand gemalt war. Im Schattenspiel der Lichter sah sie aus, als würde auch sie Tränen vergießen. Andrew lag da wie ein schlafender Engel. Sein Körper war in ein kostbar besticktes Leichentuch gehüllt, das auf der Vorderseite das Wappen der Waterhouse trug. Das Gesicht war unbedeckt, seine Hände hielt er gefaltet und auf der Brust stand das übliche Salzschälchen.
Helen und ihr Vater hatten sich links und rechts neben den aufgebahrten Leichnam auf gepolsterte Schemel gesetzt. Es war düster und ungemütlich in der Kapelle. Selbst das Kerzenlicht vermochte es nicht, den kalten Hauch des Todes zu durchdringen. Während der alte Lord noch immer wie versteinert war und mit blicklosen Augen in das bleiche Gesicht seines Sohnes starrte, als könne er dessen Tod einfach nicht glauben, hatte Helen die Hände gefaltet und war in ein stummes Gebet vertieft. Beide achteten nicht auf das Erscheinen des Geistlichen und der Kinderfrau. Es war, als wären Helen und ihr Vater in eine andere Welt entwichen, in der das Leben mit seinem normalen Tageslauf keine Bedeutung hatte.
Der Pater trat an die Bahre heran und schlug das Kreuzzeichen. Dann legte er seine Hand mitfühlend auf die Schulter des alten Lords. Dieser sah auf und kehrte dank des verständnisvollen Blick des Geistlichen zurück in die Gegenwart der Waterhouseschen Hauskapelle.
»Pater Gregor! Dank Euch, dass Ihr gekommen seid«, sagte er. Der Pater nickte. Dann holte er das kleine Krüglein mit dem heiligen Öl aus seiner Tasche und salbte dem verstorbenen Jungen nachträglich die Augen, Lippen, Hände und die Füße. Als er damit fertig war, sprach er einige Sterbegebete und empfahl dem Herrn die Seele des Verstorbenen.
Nun,
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