Herz in Gefahr (German Edition)
eigenem Erleben? Wieviele Schlachten habt Ihr schon geschlagen, dass Ihr zu wissen meint, was wirklich in Frankreich geschehen ist?«
»Helen! Er hat Recht! Lass ihn ausreden. Anschließend hören wir deine Meinung«, wandte sich Lord Waterhouse an seine Tochter, die mit kreideweißem Gesicht und brennenden, schwarz umschatteten Augen dasaß. Sie hatte sich hochaufgerichtet, ihr Kinn zitterte, die Brüste bebten. Die Anspannung, der furchtbare Verdacht und natürlich der Tod des geliebten kleinen Bruders hatten ihre Spuren auf dem Antlitz der jungen Frau hinterlassen. Sie hatte heute Andrew verloren. Um keinen Preis der Welt wollte sie nun noch den Geliebten verlieren. Dafür war sie bereit zu kämpfen, so lange ihre Kraft es gestattete. Doch war sie inzwischen schon zu erschöpft, um noch klar denken zu können. Ihr Herz schmerzte, ihre Seele lag offen und bloß. Jedes Wort von Matthew tat ihr weh, jeder Einwand dagegen kostete sie ein Übermaß an Anstrengung. Helen fühlte, dass sie sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte. Immer wieder schwanden ihr für wenige Sekunden die Sinne. Sie war am Ende, ausgelaugt, und wünschte sich beinahe eine Ohnmacht, die diesen schrecklichen Stunden ein Ende bereiten würde. Sie wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Sie wünschte sich in ihre Kemenate, ins Bett, unter die warme, weiche, schützende Decke. Doch sie musste bleiben, musste bis zum Ende hören, was Matthew zu sagen hatte, seine Beweise widerlegen, sich der Lauterkeit ihres Geliebten versichern, alle Zweifel daran ausräumen.
»Und dann lag plötzlich der Handschuh mit Bloomfields Wappen, sauber, trocken und noch warm von der Hand neben dem Leichnam. Kein Bediensteter in unserer Gegend trägt Kleidungsstücke mit dem Wappen seines Lords. Dieses Privileg ist nur dem königlichem Gefolge gestattet. Der Handschuh gehört Lord Robin, daswisst Ihr so gut wie ich«, sprach Matthew weiter. »Der vierte Punkt, der für Bloomfields Täterschaft spricht, sind schließlich Beweggründe mit den Namen Geld, Macht und Einfluss. Wie schon gesagt, Robin Bloomfield ist der Einzige, der aus Andrews Tod einen Nutzen ziehen kann.«
»Was Ihr sagt, Sir Warthorpe, klingt einleuchtend. Doch scheint es mir nicht recht zum Charakter Lord Bloomfields zu passen. Sollte er tatsächlich ein Mensch sein, der das Leben anderer opfert, um seine Ziele zu erreichen?«, warf der Rittmeister ein.
»Nein, Robin ist kein so niederträchtiger Geselle. Er … er …«, stammelte Helen verzweifelt und brach dann unvermittelt ab. Ein Satz fiel ihr ein, den Robin einmal zu ihr gesagt hatte: »Ich würde jeden töten, der sich mir in den Weg stellt.« Und plötzlich war ihr, als griffe eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen und überzöge es mit klirrendem Frost. Sie spürte die Kälte in jeder einzelnen Faser ihres Körpers. Sie saß unbeweglich, sie hätte aus Marmor sein können wie die Madonnenstatuen, die man in jeder Kirche sehen konnte. Noch einmal erschien die Szene auf der Waldlichtung vor ihrem geistigen Auge. Noch einmal sah sie mit schmerzhafter Deutlichkeit den blutroten Rubin in der Sonne blinken, noch einmal sah sie den Unbekannten in die Richtung der Bloomfield Manors verschwinden. Hatte sie sich so sehr in ihrem Geliebten getäuscht? War er der geheimnisvolle, heimtückische Fremde gewesen? Hatte die Liebe sie blind gemacht? Der Geliebte als Mörder ihres Bruders, das war mehr, als Helen ertragen konnte. Schmerz, unbändiger Schmerz durchflutete ihren Körper. Helen stöhnte laut auf, griff nach ihrem Weinbecher, als könne er ihr Halt geben. Doch die Halle versank plötzlich im Nebel. Die Stimmen schienen aus weiter Ferne zu kommen. Noch einmal glitt ihre Hand suchend über den Tisch, dann fiel der Becher, und Helen sank ohnmächtigvon dem gepolsterten Stuhl. Ihr Körper schlug hart auf dem Boden auf, der Wein floss vom Tisch und beschmutzte ihr Kleid, sodass es aussah, als hätte das Mädchen blutige Tränen geweint. Der alte Lord sprang von seinem Stuhl und eilte zu seiner Tochter. Er bettete ihren Kopf in seinen Schoß und rief sie leise beim Namen: »Helen, Kind, ich bitte dich, komm zu dir.«
Der Rittmeister war hinzugetreten. Er beugte sich hinab, hob die junge Frau auf und trug sie in seinen starken Armen die Treppe hinauf zu ihrer Kemenate. Matthew hatte unterdessen nach der Magd gerufen, um einen Becher Wasser für Helen zu ordern. Margaret nahm der Magd das Zinngefäß ab und lief hinter dem Rittmeister die
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