Herz in Not
„Ach, was soll’s ... wenn du nicht willst ...“
Er verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Ohne verführerisches Vorspiel fuhr seine Zunge über die Innenseite ihrer Lippen und dann -fast brutal - durch das warme weiche Innere ihrer Mundhöhle. Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Victoria war ganz schwindelig, und irgendwie kam sie sich betrogen vor. „Das ... das hat mir nicht gefallen.“
„Du wirst dich dran gewöhnen.“
Mit Tränen in den Augen starrte sie ihn an. Und an einiges mehr, las sie in seinem Blick. Dann stürmte sie an ihm vorbei in die Halle, zurück zu den harmonischen Klängen, die aus dem Ballsaal drangen.
David biss zornig die Zähne zusammen. Krachend schlug er hinter ihr die Tür ins Schloss, ging zum Schrank und bediente sich aus Fredericks Brandyflasche. Unschlüssig betrachtete er den Brief, dann stellte er das Glas ab und brach das Siegel auf. Nachdem er den Inhalt gelesen hatte, faltete er kopfschüttelnd das Blatt und steckte es in seine Jackentasche. Dann nahm er sein Glas und ging damit zum Kamin. Eine Zeit lang beobachtete er die züngelnden Flammen, schließlich stellte er das Glas auf den Sims und verließ die Bibliothek. Leise schloss er die Tür hinter sich und ging langsam in die Richtung, aus der die Musik kam.
Glücklicherweise stand Emma nahe am Eingang zum Ballsaal und unterhielt sich mit zwei jungen Frauen. Victoria gesellte sich zu ihnen. „Die Musik ist wunderbar“, sagte sie und versuchte dabei zu lächeln. „Der Abend ist ein voller Erfolg, Emma.“
„Wo hast du dich versteckt“, wollte Emma wissen und zog die Freundin vertraulich beiseite. „Ich habe dich überall gesucht... deine Tante auch.“
„Ach, Mr. Villiers war so darauf aus, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken, dass ich es für besser hielt, eine Zeit lang zu verschwinden“, erklärte Victoria unsicher.
Emma verzog verständnisvoll ihr Gesicht. „Ich weiß wirklich nicht, weshalb Mama dieses Ekel eingeladen hat ..." Interessiert blickte sie zum Eingang. „Weißt du, wer da gerade kommt?“ flüsterte sie.
„Ich kann’s mir denken“, murmelte Victoria.
Emma sah die Freundin scharf an. „Aha“, meinte sie und nippte nachdenklich an ihrem Limonadenglas. „Nicht nur Gerald Villiers ist der Grund für deine Abwesenheit.“
Victoria hakte sich bei Emma unter und schlenderte mit ihr weiter zum Büfett. „Und? War Baron Du Quesne beeindruckt von der Torte?“
„Keine Ahnung. Wir ... er fing an zu streiten. Er fragte mich, weshalb es mir so eine Freude bereite, ihn ständig zu brüskieren, und ich ...“ Emma runzelte bekümmert die Stirn. „Ach, ich weiß auch nicht, warum, aber in seiner Gegenwart bin ich so nervös ... ich fürchte mich fast vor ihm. Eigentlich lächerlich, denn er ist stets sehr höflich und zuvorkommend. Er machte mir sogar eine Art Kompliment, indem er sich wunderte, weshalb ich mit vierundzwanzig noch nicht verheiratet sei. Vielleicht vertraute ich ihm ja deshalb an, dass meine Mutter erwartet, dass man bald um meine Hand anhält.“ Sie kicherte unsicher. „Nun, dann kamen Daphne Blair und ihre Schwester dazu und haben ihn in Beschlag genommen. Er hat sich nicht einmal mehr nach mir umgeschaut.“ Sie schwieg eine Weile und meinte dann: „Zum Glück ...“ Zwei junge Mädchen drängten sich aufgeregt an den beiden vorbei. „Aha, man hat unseren noblen Gast gesichtet!“ war Emmas spöttischer Kommentar.
Dann machte sie je einen Teller mit Köstlichkeiten vom Büfett für Victoria und für sich selbst zurecht. Die beiden nahmen an einem kleinen Tisch Platz und genossen schweigend die delikaten Häppchen. „Wie willst du dich nun verhalten?“ fragte Emma schließlich ganz vorsichtig, während sie ein paar Krumen von ihrem Rock sammelte.
Victoria aß schweigend weiter. „Ich werde ihn genauso selbstsüchtig und geringschätzig manipulieren, wie er es mit mir versucht.“ Gereizt stocherte sie in der Blätterteigpastete. „Ich hasse Lügen, aber manchmal ist das der einzige Ausweg.“ Nachdenklich rieb sie sich die Hände an der Serviette. „Ich will, dass mein Vater die ihm noch verbleibende Zeit auf Hartfield verbringen kann, danach schmerzt der Verkauf nicht so. Ich bin noch jung. Sicher werde ich irgendwo eine Anstellung finden ... oder einen netten Mann, der mich nimmt ... und natürlich auch für Tante Matty sorgt.“ Sie sah Emma unsicher an. „Ich kann nicht erwarten, dass ein Mann mit einem normalen Einkommen uns alle versorgt.
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