Herz in Not
drehte sie den Kopf zur Seite, so dass seine Lippen auf ihrem seidigen schwarzen Haar landeten.
„Kein guter Anfang für eine angehende Mätresse“, tadelte er. „Sollen wir es noch einmal versuchen?“
„Nein!“ lehnte Victoria in panischer Angst ab. „Ich muss gehen. Man wird mich vermissen.“ Doch der Gedanke an Villiers’ dreiste Bemerkungen machte sie rachsüchtig. „Außerdem, weshalb sollte ich Sie küssen? Bislang haben Sie noch nichts gezahlt.“
„Vierzigtausend Pfund, kann ich dafür nicht einen kleinen Vorschuss erwarten?“ Seine Augen glitzerten böse, unnachgiebig drehte er ihren Kopf herum, so dass sie ihn anschauen musste, und strafte ihre weichen zitternden Lippen mit einem gierigen Kuss. Nie zuvor hatte er sie mit einer solchen Wollust geküsst. Vergeblich versuchte Victoria sich zu wehren ... und so ergab sie sich seufzend in ihr Schicksal.
Sofort wurde seine Liebkosung wieder zärtlich. Schließlich glitt seine Zungenspitze ein letztes Mal über ihre heißen Lippen, dann ließ er Victoria los und wandte sich zur Tür. „Nur zu deiner Information: Letzte Woche hatte ich noch eine Mätresse in der Gracechurch Street“, sagte er wie beiläufig im Gehen. „Heute Abend bin ich direkt aus Mayfair hierher gekommen.“
Seine kühle, beherrschte Art war so verletzend, dass Victoria sich zu einer törichten Provokation hinreißen ließ. „Oje, Lord Courtenay!“ stichelte sie. „Hat sie Ihr Missfallen erregt? Etwa nicht ihre Reize bei Tisch gezeigt? Was haben Sie mit ihr gemacht? Sie gegen einen Phaeton eingetauscht? Ich frage mich, was werden Sie wohl für mich bekommen? Eine kastanienbraune Stute ... ?“
„Wie bitte?“
Victoria erstarrte. Dieser Mann brachte sie immer wieder in Rage. „Verzeihen Sie, ich hätte nicht...“
„Ganz recht. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst mich fragen, wenn du etwas wissen willst? Hat es etwa mit der Sache zu tun ... die selbst den Teufel erröten lässt, wie du dich neulich ausdrücktest? Nun, gewiss kann ich eine Gegenleistung für Speis und Trank und sonstige Dienste erwarten. Und was den Rest deiner Frechheit anbelangt ...“ Nachdenklich sah er Victoria an, während er sie gegen den Schreibtisch drängte. „Villiers ist also hier. Das hat er dir doch nicht persönlich gesagt?“ Schweigend starrte Victoria ihn an, duldete, dass er mit dem Finger über ihre Wange strich. „Oder?“ fragte er leise.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen ...“
„Oh, das glaube ich aber doch. Selbst Villiers würde nicht wagen, solche frivolen Äußerungen gegenüber Damen in so vornehmer Umgebung zu machen. Du hast gelauscht, nicht wahr?“
„Ich lausche nie!“ wehrte sie sich entrüstet. David durfte nicht erfahren, was sie unfreiwillig mit angehört hatte. Sie musste ihn ablenken. Entschlossen schlang sie ihre Arme um seinen Hals. „Es tut mir Leid ...“, flüsterte sie. „Ich war unverschämt. Ich bin müde ... abgespannt. Und ich würde dich gerne küssen ...“ Sie strich sanft über sein Haar, drehte eine Locke um ihren Finger - ganz so, wie sie es früher getan hatte.
Doch David reagierte abweisend und kalt. „So schnell bin ich nicht mehr zu verführen, Victoria“, meinte er amüsiert. „Ich hoffe, dein außergewöhnlicher Mann hat dich in die Kunst der Liebe eingewiesen.“ Entrüstet wich Victoria zurück, doch sie blieb gefangen zwischen ihm und dem Schreibtisch. „Daniel war ein Ehrenmann, und ich will nicht, dass du dich über ihn lustig machst.“
„Ich mache mich nicht lustig, Victoria. Ich bin ehrlich besorgt, ob du mich befriedigen kannst ... ob du dein Geld wert bist. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ich dich für eine Einhundert-Guineen-Stute verkaufe. Nun komm schon“, versuchte er sie wie ein scheuendes Pferd zu beruhigen, „du wolltest unseren kleinen Streit doch gerade mit einem Kuss beenden. Was steht dem entgegen, wenn so ein Schurke wie ich sich um die Schulden deines ehrenwerten Mannes kümmert und du am Montag deine schriftliche Bestätigung der Bank erhältst?“
Nun gut, wenn er es so will, dachte Victoria, legte ihre Arme wieder um seinen Hals, schloss die Augen und drehte den Kopf erwartungsvoll zur Seite. Nichts geschah. Sie schlug die Augen auf. David sah sie erstaunt an.
„Sag meinen Namen, bevor du mich küsst“, flüsterte er.
Wütend presste sie ihre zitternden Lippen auf seinen Mund. Als David auf ihren störrischen Kuss immer noch nicht reagierte, wandte sie abrupt den Kopf zur Seite.
Weitere Kostenlose Bücher