Herz und Fuß
ein Handy? Handzeichen.«
Die geblümten Ärmel blieben am Busen und alle Damen schüttelten traurig ihre Köpfe.
»Kein Problem.« ErzEngel hatte den Tonfall, mit dem sie Duislexic aus seiner buchstäblichen Isolation geholt hatte. Sie sah auf ihre Uhr und erhob sich.
»723 Schritte von hier ist ein Elektronikhändler. Billige Handys, billiger Supermarkttarif. Wir zahlen das aus der Sparclubkasse! Los geht es!«
Die Gruppe erhob sich schnell und griff nach ihren Handtaschen.
»Soll ich euch begleiten?« Ich suchte den Blick meiner Mutter.
»Nicht nötig.« Sie zog die leicht humpelnde Rose-Lotte Stein hinter sich her. Die Häschenserviette blieb zerknüllt auf dem Tisch liegen. Ich konnte durchs Fenster beobachten, wie meine Mutter den Journalistenschwarm vor dem Tor wie Moses mit einer Handbewegung teilte und danach trockenen Fußes mit ihrer kleinen Gruppe geblümter Israeliten die Straße hinabeilte.
Wie geht es dir?
Mein Handy hatte mit zwei simulierten Schlägen gegen ein feines Glas das Eintreffen einer SMS verkündet und ich las mir Irenes Frage laut vor. In Ermangelung einer anderen wichtigen Tätigkeit hatte ich die Kaffeetafel abgeräumt und stand jetzt schon seit einer halben Stunde weitgehend ratlos in meiner eigenen Küche am Fenster. Ich hatte überlegt, ob ich Irene anrufen sollte, um mich für meinen schnellen Abgang zu entschuldigen, es dann aber wieder verworfen. Und wieder in Betracht gezogen. Und wieder verworfen. Wir hatten uns noch nie getextet und der Anblick dieses einen Namens auf dem Display, machte mich auf eine Art unruhig, die in einer diffusen Zone zwischen Erlösung, Glück und Trauer lag. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich von selber melden würde und trotz meines unfreundlichen Auftritts wissen wollte, wie es mir ging. Zu sehen, dass sie es wissen wollte, tat gut, zu wissen, dass sie in diesem Moment mit verschlungen Händen auf einer Couch saß, tat weh.
»Hier ist alles in Ordnung, es geht mir gut«, schrieb ich schließlich und tippte auf Senden, bevor ich es mir anders überlegen und mit einer Frage enden konnte. Denn wenn ich fragte, würde meine hierhin und dorthin fließende Zeit zu zäher Wartezeit werden und ich würde statt des Himmels in den nächsten Stunden mein Handy beobachten. Was das anging, war ich ein gebranntes Kind.
Bei IHR hatte ich das nämlich oft stundenlang getan. Wenn SIE über Stunden und Tage nicht auf meine Fragen geantwortet hatte, hatte ich neben dem Handy auch ausgewählte andere Elektrogeräte im Auge behalten, um das kleine Telefon zu entlasten. Am besten hatte meine Aufmerksamkeit damals dem Toaster gefallen, der von Natur aus die Fähigkeit besaß, sich schnell zu erwärmen. Ich hatte aus Dankbarkeit unzählige Toastscheiben geröstet und zunehmend hatte mich die Art, wie sie blitzschnell aus dem glühenden Schacht sprangen und damit das Feuer hinter sich zum Erlöschen brachten, an SIE erinnert. Ich hatte mich darin geübt, die fliehenden Quadrate mitten im Sprung aufzufangen und sie festzuhalten. Obwohl ich mir dabei hin und wieder die Finger verbrannt hatte, war es mir bei den Toastscheiben schließlich leicht gefallen. Bei IHR war mir das nie gelungen.
Während ich mir diese gedankliche Reise in die Vergangenheit gönnte, wurde mein Antworttext im Display grün und meine unverbindlichen Worte verschwanden digital verschlüsselt im makellosen Sommerhimmel. Wie viele solcher Botschaften wohl im selben Augenblick ihrem Ziel entgegeneilten? Ich schaute meinem Satz mit zusammengekniffenen Augen hinterher und stellte mir vor, wie es wäre, all die wichtigen Botschaften und Belanglosigkeiten, die Fragen, die Antworten, die Scherze, die Liebesschwüre und immer neuen Verabredungen auf ihren chronisch überfüllten Wegen sehen zu können. Reisten alle Liebesbezeugungen in einem engen rosa Schwarm, der sie vor den vielen Abschiedsbotschaften schützte, die an unübersichtlichen Kreuzungen aus dem Nichts in die wattige Wolke rasen wollten? Kannten die falschen Anschuldigungen eine Abkürzung und gab es eine Schnellstraße für Entschuldigungen? Die alltäglichen Verabredungen standen sicher in einem langen Stau, geordnet nach Kaffee um drei, Kino um sieben, Essen um acht und Tanzen um elf.
Bei Tanzen um elf fiel mir Judith ein und die Nacht, die meinen selbst gewählten Zölibat beendet hatte. Ich würde es Baby nicht sagen, aber die Erfahrung, Sex zu haben, ohne vorher einen ganzen
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