Herz und Fuß
der Ferien wurde der Gasometer automatisch wieder zum temporären Hort für bildungssatte Schulpflichtige, die es nicht abwarten konnten, sich nach dem Ende der Führungen im Einkaufszentrum vom Angriff, den eine Ausstellung auf ihr Bewusstsein darstellte, zu erholen. Der grüne Fuß hatte unseren Coolnessfaktor zwar eindeutig erhöht, aber um mit der Kombination aus McDonalds, Applestore und Hollister in der direkten Nachbarschaft ernsthaft zu konkurrieren, hätten wir wohl jeden Tag live einen Rentner einfrieren und zerteilen müssen.
Die oft langen Tage immer auf der Spur des hormongesteuerten Übermuts waren ermüdend und meine Laune an den Abenden dementsprechend schlecht. Baby war zu einem Urlaub nach Lesbos verschwunden und versorgte mich von dort mit neuen Erkenntnissen, die größtenteils im Bereich der nonverbalen Kommunikation lagen und die Verwendung des Inselnamens als Adjektiv sicherstellten. Irene schlug mir am Telefon fast täglich Treffen vor, die ich nach kurzen Gesprächen mit Hinweis auf die anstrengenden Arbeitstage freundlich ablehnte, obwohl ich mich nach ihrem Lachen sehnte. Ihr Brautkleid, das eigentlich ein schickes Kostüm war, hatte ich per MMS bewertet, weil mich eine starke Migräne in letzter Minute an einer leibhaftigen Teilnahme gehindert hatte. Bis zu diesem Tag hatte ich Leute verachtet, die Kopfschmerzen vorschoben, um keinen Sex haben zu müssen. Jetzt hatte ich Kopfschmerzen benutzt, um nicht dabei zu sein, wenn sich die Frau, nach der ich mich sehnte, ein Kleidungsstück aussuchte, um ihre sexuelle Beziehung zu einem Mann zu legalisieren. War das so etwas Ähnliches? Oder genau das Gegenteil? Am Ende meiner Überlegungen hatte ich wirklich Kopfschmerzen gehabt.
ErzEngel hatte mit den Mitgliedern des Computerclubs eine Selbstverteidigungsgruppe gegründet, die mittlerweile zweimal in der Woche zu allem entschlossen und in pastellfarbenen Gymnastikhosen einem überforderten Polizeibeamten gegenüberstand. »Warte ab, ich bekomme auch Rose-Lotte Stein noch dazu mitzumachen, und wenn sie erst mal im Kurs ist, kann ich sie bestimmt auch überreden, das Handy anzunehmen, das wir für sie kaufen wollen.« Sie glühte vor Begeisterung und ich traute mich nicht, ihr zu sagen, dass jede weitere Seniorin mit mobilem Telefon meine Aussichten auf ungestörten Nachtschlaf verringerte.
Ich war viel allein und wühlte in den Nächten nach Spuren von Sinn in meinem Leben.
Der erste Freitag des Septembers war einigermaßen ruhig gewesen. Von den angemeldeten zehn Schulklassen waren bis zu meinem frühzeitigen Schichtende am Mittag nur fünf erschienen und von diesen fünf hatten nur drei versucht, den Aufzug zum Absturz zu bringen. Einer dieser Versuche hatte dazu geführt, dass der Aufzug für die Übeltäter knapp unterhalb der achten Etage zum gläsernen Gefängnis wurde und sie sich in achtzig Meter Höhe ausgiebig Gedanken über ihre Taten machen konnten. Helmut fand einfach nicht die Zeit sie zu befreien, denn wir mussten genau in diesem Augenblick gemeinsam im Ausstellungscafé einen Kaffee trinken und zuschauen, wie die Glasscheiben oben in der kleinen Aufzugkabine langsam beschlugen. Es war immer wieder erstaunlich zu sehen, wie läuternd zehn Minuten Ungewissheit in einem gläsernen Aufzug zwischen Himmel und Erde sein konnten.
Ich hatte in den letzten Tagen so wenig wie möglich über den Fuß nachgedacht und erst, als ich mit Helmut zum Parkplatz ging und den Baseballschläger auf seinem Rücksitz entdeckte, fiel er mir wieder ein.
»Hast du mit dem Spielen angefangen?« Er hatte meinen Blick auf das massive Sportgerät gesehen.
Da er für Humor weitgehend unempfänglich war, sah er mich verständnislos an und schüttelte den Kopf. Ich vermied es, das Thema zu vertiefen, aber Helmuts Aufrüstungsmaßnahme machte mir wieder klar, dass es eine reale Bedrohung gab. Ich fuhr missmutig nach Hause und meine Laune wurde durch den Anblick der nur angelehnten Haustür nicht besser. Warum konnte sich meine Mutter, die die Seniorinnen im Nahkampf schulte, nicht merken, die Haustür richtig zu schließen?
Mein Auftritt in ihrer Wohnung war dieses Mal etwas verhaltener, weil ich nicht wieder zufällig anwesende ältere Damen an den Rand des Infarkts bringen wollte.
»Die Tür war wieder offen. Das ist keine gute Idee«, sagte ich mit ruhiger Stimme und trat ins Wohnzimmer. Keiner da. Auf dem Tisch lag die Frauenzeitschrift mit der umkreisten Königin,
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