Herz und Fuß
Frachtcontainer mit emotionalem Gepäck neben dem Bett zu entladen, hatte mir wirklich gutgetan. Und meine Erinnerung daran, was ich vermisste, aufgefrischt.
Kling, Kling macht mein Handy. ErzEngel durchschritt gerade mit wehendem Haar und wildem Blick die etwas geschrumpfte Schar der Sensationsjäger vor unserem Garten und am nicht geringen Abstand, den die Gruppe hielt, konnte ich sehen, dass sie ein ganz kleines bisschen Angst vor ihr hatten.
»Habe ich etwas falsch gemacht?« Irene hatte keine Angst vor Fragen und wollte den seltsamen Zustand, in dem sich unsere Freundschaft befand, nicht einfach hinnehmen.
»Du bist in mein Leben gekommen. Mit deinen lachenden Augen und diesem Hals, auf dem eine Gänsehaut wie eine Einladung aussieht. Und jetzt verschlingst du deine Hände mit meinem Schulfreund«, schrieb ich natürlich nicht.
Ich schrieb: »Du hast gar nichts falsch gemacht. Die Situation macht mir einfach Angst, heute mehr als normalerweise. Schlaf gut, ich rufe dich morgen an.«
Sollte sie die Situation, die mir Angst machte, ruhig für meinen Fund und die Nähe des Mörders halten.
Das Warten auf den nächsten Fuß,
die ausbleibenden Fahndungserfolge und die andauernde, tropische Hitze machten die Menschen in den folgenden Wochen nervös. Man hätte glauben können, dass die Region nach Zechensterben, Hüttensterben, verpassten Fußballmeisterschaften und mehrfachem Strukturwandel weitgehend abgehärtet war, aber die irrationale Bedrohung hinterließ ihre Spuren. In den Innenstädten wurden die Kämpfe um die wenigen freien Schattenparkplätze verbissener und in den Läden wehte grüne Kleidung unverkäuflich im schwachen Luftzug der überall aufgestellten Ventilatoren. Die Polizei war kaum noch in der Lage, den unzähligen Hinweisen nachzugehen. Da alle ganztägig draußen grillten, hatte jeder etwas gehört und viele etwas gesehen. In den schwülen Nächten schlief das ganze Ruhrgebiet mit weit geöffneten Fenstern und jeder lauschte ängstlich in die Nacht. Rollige Katzen, die laut klagend auf Partnersuche waren, wurden schnell im grellen Licht übergroßer Taschenlampen zur Strecke gebracht. In den Baumärkten wurden neben den mobilen Klimageräten auch Bewegungsmelder und Zusatzschlösser knapp, Pfefferspray wurde zum Verkaufsschlager.
Aber der fehlende vierte Fuß tauchte nicht auf. Nicht auf den streng bewachten Kulturdenkmälern der Region und auch nicht auf den regelmäßig patrouillierten Halden.
Auch das Gemeidezentrum stand kurzzeitig unter Beobachtung, was ErzEngels Computerdamen ein bisschen weniger mit ihren sommerlichen Rüschenblusen flattern ließ. Noch viel mehr beruhigten sie aber die kleinen Handys, die meine Mutter mit Nummern und Namen versehen hatte. Seit die Frauengruppe ihre eigene Telefonkette hatte, klingelte und summte das Handy meiner Mutter zu jeder Tages- und Nachtstunde. In der ersten Zeit lag den meisten Anrufen keine Absicht zu Grunde, sondern die verschiedenen Rentnerinnen hatten sich entweder auf die Kurzwahltaste gesetzt oder das Handy mit der Fernbedienung verwechselt. Ich lauschte mit leicht gereizten Nervenenden, wie ErzEngel mehrmals laut in das Telefon schrie, bis die Anrufende begriff, woher das Geräusch in ihrem Wohnzimmer oder ihrer Tasche kam. Die ersten SMS waren dank einer schwer verträglichen Kombination aus besserwisserischen Rechtschreibhilfen und wehrlosen Endsiebzigerinnen nur schwer zu decodieren und erforderten dadurch neue Anrufe. Was allen so gut gefiel, dass sie sich von nun an ständig anriefen und texteten. Zum ersten Mal begriff ich, dass ältere Menschen wirklich nicht viel Schlaf brauchten. Wenn ich die Treppe hinabging und ErzEngel in ihrer Tür stehend den Kopf schüttelte, wusste ich schon vor der Arbeit, dass es keine neuen Erkenntnisse gab. Nicht über die Opfer, nicht den Täter und schon gar nicht über mögliche Motive. Meinen Kontakt zu Irene hielt ich künstlich auf einer Ebene freundlicher Unverbindlichkeit, die uns beiden nicht gerecht wurde. Was sollte ich denn tun? Auf meinem Kalender an der Küchenwand leuchtete mir täglich das mit rotem Filzstift durchkreuzte Datum ihrer Hochzeit wie ein Warndreieck entgegen. Also verlangsamte ich meine Fahrt, um nicht frontal in diese schlecht gesicherte Unfallstelle zu rasen.
Die erste Septemberwoche
brachte die Schulklassen zurück, die im Morgenlicht wie die taumelnden Horden in einem Zombiefilm den Gasometer einkreisten. Mit dem Ende
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