Herz und Fuß
ans Ufer schwappten, wirkten in der Dunkelheit fast schwarz und ich fragte mich, ob sie meine Mutter vielleicht dort in diese nasse Kälte gezogen hatten. Ob sie in diesen gleichgültigen Fluten um ihr Leben gekämpft und nach mir gerufen hatte.
»Sie suchen auch am Fluss, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie einen Unfall hatte«, sagte Irene, die meinen Blick gefolgt war.
Wir gingen wortlos zurück zum Haus. Auf dem Rückweg kamen uns auf dem engen Pfad zwei Polizisten mit hellen Taschenlampen entgegen.
»Es wäre uns lieber, wenn Sie keine nächtlichen Ausflüge machen würden«, sagte der eine von beiden und sah mich unsicher an.
»Warum? Haben Sie Angst, dass ich auch noch verschwinde?«
Eigentlich hatte ich das nur gesagt, weil ich wütend war, aber ich konnte in den Augen der beiden Uniformierten sehen, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
»Sie glauben, dass ich die Nächste sein könnte.«
Irene unterbrach kurz den Schwung mit dem sie unsere beiden Decken für die Nacht aufschüttelte und sah mich an. »Das haben sie nicht gesagt.«
»Das brauchten sie auch nicht.« Ich ließ mich ins Bett fallen und zog mir die Decke bis ans Gesicht. Irene legte sich wie selbstverständlich zu mir und ihren Arm um mich. Ich drehte mich zur Seite und zog sie wie eine weitere Decke um mich herum. Der Raum war still, nur unser Atem bewegte die Luft. Was hätte ich noch vor wenigen Tagen für genau diese Situation gegeben. Ich presste die Augen aufeinander, als könne ich damit den Schlaf an seinen Arbeitsplatz zwingen. Irenes Hand lag ruhig auf meinem Bauch, als gehörte sie dort hin. Bei der Suche nach Schlaf half diese Berührung nicht. Ich zählte Schafe, Schweine, Pferde, Kühe und Hühner, dann gingen mir die Tiere aus.
»Ich wüsste nicht wie ich leben sollte, wenn dir etwas passiert.«
War das Flüstern an meinem Ohr wirklich gewesen oder hatte ich das schon geträumt. Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte die regelmäßigen Atemzüge an meinem Nacken.
Wir erwachten gemeinsam
und diesmal wusste ich sofort, warum Irene in meinen Armen lag. Selbst der kurze Moment schlaftrunkenen, ahnungslosen Glücks, den ich noch am Vortag erlebt hatte, war mir damit genommen. Ich schlug die Decke zurück, rannte durchs ganze Haus und kontrollierte alle Telefone, aber alles war so still und stumm wie am Abend vorher. Während ich duschte, konnte ich hören, dass Irene telefonierte, und ich machte mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie konnte nicht ihr Leben und ihre Beziehung anhalten, um bei mir zu bleiben und mit mir zu warten. Sie konnte nicht jede Nacht in meinem Bett, in meinen Armen schlafen. Wahrscheinlich war ihr dieser Freundschaftsdienst schon längst über den Kopf gewachsen und sie wusste nur nicht, wie sie mir beibringen sollte, dass sie gehen musste. So war sie, sie war nett und rücksichtsvoll. Mein Brustkorb schmerzte bei diesen Gedanken so stark, dass ich fürchtete zu ersticken. Ich mischte mehr kaltes Wasser in den Duschstrahl und die Kälte ließ mich tief Luft holen. Ich musste Irene einen akzeptablen Ausweg verschaffen. Bald kam Baby zurück und ich würde sie bitten, dann eine Weile zu mir zu ziehen, denn ich wusste nicht, wie ich diese Zeit allein überstehen sollte. Die Geschäftsführung des Gasometers hatte mich auf eigenen Wunsch auf unbestimmte Zeit beurlaubt und die vielen unausgefüllten Stunden der nächsten Tage lauerten überall im leeren Haus und starrten mich auch jetzt durch die vom Wasserdampf beschlagene Duschkabine an. Vielleicht wäre es sogar sinnvoller gewesen, arbeiten zu gehen, aber wenn meine Mutter nach Hause kam, wollte ich da sein. Ich musste da sein.
»Alles in Ordnung?« Irenes Finger erschienen klopfend an der Tür der Dusche. »Soll ich dir dein Handtuch geben?«
»Ja!« Ich drehte meinen nackten Körper ungeschickt zur Seite und öffnete die Tür, um nach dem großen Frotteetuch zu greifen. Irene reichte es mir und hielt kurz, aber energisch meine nasse Hand fest.
»Ich habe uns Frühstück gemacht und ich will nicht hören, dass du keinen Hunger hast. Wenn deine Mutter zurückkommt, will ich nicht diejenige sein, die ihr erklären muss, warum du so dünn geworden bist.«
Ich nickte ergeben, trocknete mich schnell in der Dusche ab und trat dann in das Handtuch gewickelt neben sie. Irene wischte mit dem Unterarm über den dunstigen Spiegel und betrachtete sich in dem frei
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