Herzblut 02 - Stärker als der Tod
antwortete, fuhr sie fort: „Wir wollen Kleider für den Frühlingsball suchen. Samstag fahren wir zu der Shoppingmall in Tyler.“ Die zierliche Michelle hüpfte auf ihrem Stuhl auf und ab.
Ein Ball? Wieso sollte ich zu einem Ball gehen wollen?
Carrie musterte mich, als wäre ich eine neuartige Bazille unter einem Mikroskop.
Anne verdrehte nur die Augen. „Erde an Savannah: Der Ball ist in zwei Wochen. Wir gehen alle hin. Du auch.“
Ich wollte gerade widersprechen, als Anne den Kopf schüttelte, dass ihr kastanienbrauner Pferdeschwanz durch die Luft wirbelte. „Vergiss es, du wirst mir jetzt nicht kneifen. Die beiden haben Verabredungen. Ich nicht. Also kommst du auf jeden Fall mit. Ich stehe nicht den ganzen Abend allein am Rand und sehe zu.“
„Wieso willst du überhaupt …“, setzte ich an.
„Natürlich wegen der Kleider.“ Anne grinste. „He, schau mich nicht so an. Auch halbe Jungs wie ich spielen ab und zu gern Prinzessin.“
Carrie kicherte.
Anne achtete gar nicht auf sie. „Komm schon, Sav. Nie unternimmst du was mit uns. Nur weil wir nicht so cool sind wie deine tollen Charmers …“
Jetzt musste auch ich die Augen verdrehen. „Fang nicht wieder damit an.“
Anne bleckte die Zähne. Das sollte wohl ein Lächeln sein. „Dann bring mich nicht dazu! Komm mit zum Einkaufen. Und zum Ball. Versuch zur Abwechslung mal wieder, dich wie ein richtiger Mensch zu benehmen.“
Ich erstarrte. Wussten sie …
Nein. Sie konnten meine Geheimnisse nicht erraten haben. Ich war nur paranoid.
Vielleicht sollte ich mich sicherheitshalber trotzdem mehr anstrengen,um dazuzugehören und normal zu wirken. „Na gut.“ Ich seufzte, weil es mir jetzt schon leidtat. „Gehen wir am Wochenende shoppen.“
Michelle jubelte. Und erzählte, sie habe ein paar Teenie-Zeit-schriften gekauft, damit wir uns auf den Anlass richtig vorbereiten konnten. Ich nickte und versuchte interessiert zu wirken.
Plötzlich wurde mir klar, was Anne da gesagt hatte.
„Moment mal.“ Ich sah sie an. „Wieso gehst du nicht mit Ron zum Ball?“ Sie und Ron Abernathy waren seit Monaten zusammen gewesen, genau wie Tristan und ich. Der Maskenball der Charmers im letzten Oktober war sogar ihre erste Verabredung gewesen.
An dem Abend hatte ich mit Tristan draußen zwischen dem Herbstlaub getanzt, und der Mond hatte seine falsche Ritterrüstung glänzen lassen, als wäre sie aus echtem Silber.
„… und deshalb haben wir Schluss gemacht“, endete Anne grummelnd.
Ich war wieder abgedriftet und hatte ihre Antwort verpasst. In letzter Zeit war ich echt eine miese Freundin. „Tut mir leid, es war gerade so laut. Was hast du gesagt?“
Anne sah mich an und zuckte mit den Schultern. „Ich habe gesagt, dass wir uns gestritten haben. Ich habe Schluss gemacht.“
„Worüber habt ihr euch gestritten?“
Anne sammelte ihre Sachen ein. „Über … Familienangelegenheiten. Ich will nicht darüber reden. Außerdem klingelt es gleich. Kommt, wir gehen.“
Als ich nachhaken wollte, klingelte es tatsächlich. Und ich sah, wie entschlossen Anne das Kinn gereckt hatte. Stur, wie sie war, würde ich heute sowieso nichts mehr aus ihr herausbekommen.
Offenbar hatte es richtig geknallt. Und ich hatte es nicht mitbekommen, weil ich nicht aufmerksam genug war. Oder sie hatte es mir nicht erzählen wollen. Wann hatte sie die Beziehung mit Ron beendet? War sie traurig gewesen, und ich hatte es nicht einmal mitbekommen? Hatte sie versucht anzurufen, um darüber zu reden?
Bei den Mülleimern holte ich sie ein. „Anne, warte. Sag mir wenigstens, wann du mit ihm Schluss gemacht hast.“
Gemächlich goss sie ihre Limo in den Müll. „In der Woche, nachdem deine Großmutter …“
Oh. Deshalb hatte ich nichts davon mitbekommen. „Tut mir leid, dass ich nicht für dich da war. Diese Woche war …“
Sie schüttelte kurz den Kopf. „Keine Sorge. Ich wäre an deiner Stelle auch nicht ganz in dieser Welt gewesen. Bereit für die dritte Stunde?“
Eigentlich hätte ich gerne weitergebohrt und herausgefunden, was passiert war. Sie hatte immer total glücklich gewirkt, wenn sie mit Ron zusammen war. Was war jetzt anders?
Andererseits hatte ich nicht das Recht, ihr neugierig die Einzelheiten über eine schmerzliche Trennung aus der Nase zu ziehen. Ich hatte ihr auch nicht erzählt, warum ich nicht mehr mit Tristan zusammen war. Oder wie Nanna wirklich gestorben war oder welche Geheimnisse meine Familie hütete …
Da durfte ich wirklich nicht
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