Herzblut 02 - Stärker als der Tod
Eine der Tänzerinnen oder Betreuerinnen könnte zwei und zwei zusammengezählt haben, nachdem Tristan und ich gleichzeitig in der Schule und beim Training gefehlt hatten und er danach aus dem Team ausgestiegen war.
Das würde erklären, warum Michelle über die Beziehung Bescheid wusste, aber nicht über den Rest.
Ich holte tief Luft und fing mit der ersten Frage an. „Er ist mit Bethany zusammen?“
Sie nickte. Ihre haselnussbraunen Augen waren groß und ernst. „Angeblich gehen sie heute Abend zusammen zum Ball.“
Wow! Er hatte ja wirklich lange gebraucht, um über mich hinwegzukommen.
Wieder mal kämpften mein Kopf und mein Herz miteinander.Mein Verstand sagte mir, dass ich mich für ihn freuen sollte. Bethany würde ihn zum Lachen bringen, mit ihm auf Partys gehen, mit ihm und den anderen Nachfahren mittags in der Cafeteria essen. Seine Eltern fänden sie wahrscheinlich auch wunderbar. Wenn ich ihn wirklich liebte, müsste ich ihm doch das Beste wünschen, oder?
Mein Herz wollte eindeutig lieber, dass es ihm den Rest seines Lebens genauso miserabel ging wie mir.
Seufzend stellte ich die nächste Frage. „Warum hat er dich von der Frühlingsshow aus angerufen?“
„Er hat nach deiner neuen Adresse gefragt. Um mit deinem Vater zu reden, glaube ich. Es klang, als wollte er deinen Dad um Erlaubnis bitten, offiziell mit dir zusammen zu sein.“
Mir stockte der Atem. Es gab für Tristan nur einen Grund, mit meinem Vater zu sprechen. Und zwar nicht, um wegen unserer Beziehung um Erlaubnis zu bitten. So viel Einfluss hatte Dad auf den Vampirrat nicht. Dafür konnte er Menschen in Vampire verwandeln.
Wieso überraschte es mich eigentlich, dass Tristan meinen Vater darum gebeten hatte? Natürlich hätte er alles versucht, damit wir wieder zusammen sein konnten.
Nach einem Blick über die Schulter sprang Michelle auf. „Anne, hör sofort damit auf! Du machst noch mein Kunstwerk kaputt.“
Ich war noch so erschrocken, dass ich kaum die Füße wegziehen konnte, bevor Michelle durch das Zimmer gesprungen war und Anne die Bürste abnahm.
„Aber das hängt hier alles noch runter“, beschwerte sich Anne. Sie hatte sich vor ihren Schminkspiegel gebeugt und versuchte die Haare im Nacken hochzustecken.
„Die Locken hinten sollen auch runterhängen“, erklärte Michelle und schubste Annes Hände weg. „Dann wirkt es noch stufiger.“
„Eher schlampiger“, grummelte Anne. „Das sieht aus, als hätte ich nicht genug Haarspray genommen oder so was.“
Ich klammerte mich mit den Händen an den Stuhl und starrte auf den schimmernden schwarzen Satin über meinen Knien. Tristan hatte meinen Vater gebeten, ihn zu verwandeln.
Und trotzdem war er jetzt mit einer anderen zusammen.
Womit hatte Dad ihn so überzeugt, dass er uns endgültig aufgegeben hatte?
Es klingelte an der Tür, Carries und Michelles Begleiter waren gekommen. Ich spielte mit, als wir im Wohnzimmer für Fotos posierten, ihre Eltern um uns herumschwirrten und mich mit den Blitzlichtern fast blendeten, während sich meine Gedanken verwirrt im Kreis drehten. Ich verstand nicht, wie Tristan sich benommen hatte. Erst tat er so, als würde er mir nie glauben, wie es mit uns aussah. Dann wollte er sich von meinem Vater verwandeln lassen, obwohl das reiner Selbstmord war und er damit einen neuen Krieg zwischen den Vampiren und den Hexen angezettelt hätte. Und jetzt, nur ein paar Wochen später, war er mit Bethany Brookes zusammen.
Die Knipserei war vorbei, aber meine Gedanken überschlugen sich immer noch, und ich hatte einen Kloß im Hals.
Michelle und Carrie fuhren mit ihren Freunden in Carries Auto zur Jacksonville Highschool, ich folgte mit Anne in ihrem Pickup. Der Ball fand in der Cafeteria statt. Auf dem Parkplatz war ich erst mal damit beschäftigt, aus dem Auto zu steigen, ohne allen meine Unterwäsche zu zeigen. Schlitze in Kleidern sind gleichzeitig Fluch und Segen: Man kann mit ihnen besser laufen, aber das Aussteigen ist echt schwierig. Dann waren wir alle wieder vereint und stolperten auf unseren hochhackigen Schuhen über den Parkplatz zur Cafeteria.
Für diesen Abend hatte sich der runde Raum verwandelt. Das Ballkomitee unter der Leitung der Cheerleader hatte als Motto die Welt des Kinos ausgesucht. Wir bahnten uns einen Weg vorbei an vier Meter großen Filmrollen aus Pappe und genauso riesigen Eimern voll gelber und weißer Luftballons, die zusammengebunden wie gigantisches Popcorn aussehen sollten. Um unsere Knöchel waberten
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