Herzblut 02 - Stärker als der Tod
Bruder an der Schulter.
„Scheiße“, keuchte sie. „Wag es ja nicht, mir wegzusterben, Tristan!“ Sie riss an dem Türgriff, dass ihre sorgsam hochgesteckten Haare in alle Richtungen flogen.
„Zusammen bei drei“, schrie ich. Ich packte den Türrahmen, ohne auf die Glasscherben zu achten, die mir die Hände zerschnitten. „Eins, zwei, drei.“
Wir zogen mit ganzer Kraft, und die Tür gab so plötzlich nach, dass wir rückwärts im Gras landeten. Ich rappelte mich mühsam auf, weil meine blöden Absätze in der weichen Erde versanken. Offenbar war Emily mit ihren Schuhen geübter. Sie stand schon wieder neben Tristan und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt.
„Wir müssen ihn da rausholen, damit ich ihm besser helfen kann“, sagte sie.
„Weißt du denn, was du da machst?“, fragte ich. Konnten wir ihm nicht noch mehr schaden, wenn wir ihn bewegten?
„Wir müssen es versuchen. Der Krankenwagen braucht noch mindestens fünf Minuten. Und sein Puls …“
„Ich weiß.“ Ich wollte von ihr nicht hören, was ich schon wusste. Sein Herz schlug viel zu schwach. Wir waren kurz davor, ihn zu verlieren.
Und wir durften ihn nicht verlieren. Ich konnte ihn nicht verlieren. Ganz egal, ob ich mit ihm zusammen sein durfte. Ich musste wissen, dass es ihn irgendwo noch gab, sonst würde ich verrückt werden.
„Also gut, nimm seine Füße“, sagte ich und zog ihn an den Schultern zu mir. Emily quetschte sich zwischen mich und die Tür und befreite seine Füße aus dem zusammengedrückten Fußraum.
Irgendwie schafften wir Tristan aus dem Auto und legten ihn auf den Boden. Ich bettete seinen Kopf auf meinen Schoß und wischte ihm das Blut von der Stirn, während Emily sich neben ihn kniete.
„Er hat so viele Knochen gebrochen“, flüsterte sie.
„Bitte“, flehte ich sie leise an, flehte Gott an und das Universum,das bisher nur grausam zu mir gewesen war, damit es mir hoffentlich diesen einen Wunsch erfüllte.
Emily schloss die Augen und drückte beide Hände auf Tristans Brust wie zu einer Herzmassage. Aber sie drückte nicht zu. Sie saß nur ganz still da, die Hände flach auf das rot befleckte Hemd gelegt. Über meine Arme und den Nacken lief ein schmerzhaftes Prickeln. So stark hatte ich dieses Gefühl noch nie erlebt, nicht mal, als Tristan mit Magie gegen Dylan gekämpft hatte. Damals hatte sich das Prickeln angefühlt wie ein Schwarm Feuerameisen. Jetzt kam ich mir vor wie mitten in einem Schwarm richtig wütender Wespen. Als Hexe war sie wirklich mächtig. Aber war sie mächtig genug?
Hätte ich doch nur lernen dürfen, wie man Magie einsetzte …
Als ich mich über ihn beugte, krümmte ich mich vor Schmerzen zusammen. Dieses Mal stammten sie von mir selbst. Aus einer Platzwunde an Tristans linker Schläfe strömte Blut, und im Hintergrund meldete sich meine Vampirhälfte. Aber nichts konnte die nackte Angst übertönen, die mich durchströmte, nicht einmal der Blutdurst.
„Bitte, Tristan, bleib bei mir“, flüsterte ich. Meine Lippen streiften die einzige blutfreie Stelle auf seiner Stirn, seine Haare berührten mich an Nase und Wange.
Und dann hörte ich es. Ein einzelnes starkes, kräftiges Pochen, dem schnelle, kaum wahrnehmbare Schläge folgten.
„Noch mal, Emily“, drängte ich leise.
Neue Stiche überzogen meine Arme und den Hals, als sie noch mehr Energie einsetzte.
Ein zweiter kräftiger Herzschlag unter meinen Fingerspitzen. Noch einer. Und noch einer. Mit jedem Schlag wurde der Puls gleichmäßiger.
Tränen strömten mir über das Gesicht. Ich sah Emily an, weil ich wissen musste, dass ich es mir nicht nur einbildete.
„Er kommt zurück!“, rief sie strahlend.
„Gut so, Tristan.“ Ich strich ihm Glassplitter aus dem Haar. „Kämpf weiter. Komm zu uns zurück.“ Komm zu mir zurück .
In der Nähe heulten Sirenen auf. Der Rettungswagen war hier. Er hielt auf der Straße, zwei Sanitäter sprangen heraus und ludeneine Transportliege aus.
„Ich glaube, er wird wieder gesund“, sagte Emily. „Hier und da ein paar Stiche, ein paar gebrochene Knochen, die gerichtet werden müssen, und bei der Heilung kann der Clann sicher helfen. Aber er wird wieder gesund.“
Ich hielt Tristans rechte Hand fest, während die Sanitäter ihm eine Halskrause anlegten und eine Trage unter ihn schoben, mit der sie ihn auf die Krankenliege heben konnten. Auch als sie ihn zum Rettungswagen brachten, ließ ich nicht los. Ich ging einfach mit. Tristan war immer noch nicht aufgewacht. Erst
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