Herzblut 02 - Stärker als der Tod
sie auf ihr Quad stieg. „Auf den Feldern liegen überall Kuhfladen.“
Anfangs fuhr ich langsam, um mich an das Gefühl zu gewöhnen, auf einem Fahrzeug ohne schützende Frontscheibe, Gurt oder Türen durch holpriges Gelände zu fahren. Das Grundstück war größer, als ich zuerst gedacht hatte. Wir hatten jede Menge Platz, um uns zu jagen und große Kreise in die Felder zu malen. Irgendwann landeten wir auf einem grasbewachsenen Feld mit weitenterrassenförmigen Stufen.
Da ging der Spaß erst richtig los.
Anne fing damit an. Sie forderte uns heraus, die Stufen jedes Mal ein bisschen schneller runterzufahren. Bevor ich recht wusste, wie mir geschah, sauste ich mit meinem Quad durch die Luft, der Wind peitschte durch meine Haare, und ich kreischte und lachte laut.
Je schneller ich fuhr, desto mehr Spaß machte es. In der Dämmerung, die langsam hereinbrach, rauschte der Wind. Die kühle reine Luft füllte meine Lungen, Adrenalin strömte durch meinen Körper. Genau das hatte ich gebraucht – mich zu entspannen, mal rauszukommen, irgendwo zu sein, wo mich nicht ständig jemand heimlich beobachtete, um zu sehen, ob es mir gut ging. Dad machte das zu Hause ständig, wenn er dachte, ich würde es nicht bemerken. Mal keine Anrufe oder SMS zu bekommen, nur „um zu sehen, ob alles in Ordnung ist“, wie zweimal täglich von Mom. Keine Geheimnisse mehr zu haben, wenigstens nicht vor Anne.
Ich wünschte, dieser Moment hätte ewig gedauert.
Leider hatte Anne ihren Eltern versprechen müssen, dass wir nicht im Dunkeln mit den Quads herumfuhren. Also war der Spaß vorbei, als es richtig dunkel wurde. Ich folgte Anne als Letzte zurück zur Hütte und stellte das Quad ab.
„Sav, kommst du?“, rief Anne von der obersten Stufe aus. Carrie und Michelle waren schon in der Hütte verschwunden.
Widerstrebend riss ich mich los und ging zu den anderen.
In der Blockhütte zündete Mrs Albright gerade die letzte Kerze auf dem Kuchen an. Kurz sah sie mich stirnrunzelnd an, dann lächelte sie etwas gezwungen, während wir „Happy Birthday“ sangen und Anne die Kerzen auspustete.
Danach gab mir Mrs Albright einen Pappteller voller Kuchen.
„Geht es dir besser?“ Es klang so, als sei das eher eine Drohung als eine mitfühlende Frage.
„Ach, Mom, Sav muss sich gezielt ernähren“, warf Anne ein. „Tut mir leid, ich habe ganz vergessen, dir das zu sagen. Sie kann keinen Kuchen essen, sonst wird ihr vielleicht schlecht.“
Dankbar sah ich sie an.
Mrs Albright schnappte nach Luft und wich zurück, als hätte ichdie Pest. „Bist du krank, Savannah?“
„Nein, Mom“, antwortete Anne schnell. „Das ist keine Grippe oder so, nichts Anstreckendes. Ihr wird nur von Kuchen übel. Sie isst nur noch gesunde Sachen.“
Langsam beruhigte sich Mrs Albright wieder. „Ach so. Na ja, das ist verständlich. Dazu will ich Tom und Anne auch ständig überreden. Aber Anne will immer nur Junkfood haben.“ Als Beweis deutete sie auf das leere Pizzablech in der Spüle. Dabei war die Pizza so wenig fettig gewesen, als hätte Mrs Albright sie nach dem Backen abgetupft.
„Soll ich schon mal die Erdbeeren holen?“, schlug Mr Albright vor. Er sprach so sanft und freundlich, dass ich gut verstehen konnte, warum Anne sich stolz als Papakind bezeichnete.
Mrs Albright holte eine Schale mit geschnittenen Erdbeeren aus dem Kühlschrank. Weil mich wieder alle ansahen, nahm ich sofort ein Stück und steckte es mir in den Mund. Vielleicht vertrug ich wenigstens rohe Erdbeeren.
Ich erstickte fast. Offenbar waren die Erdbeeren gezuckert. Das Mistding war so süß, dass mein Mund richtig schmerzte.
„Sie sind … lecker“, brachte ich mühsam heraus, während sich mein Kiefer verkrampfte. Ich kaute ein-, zweimal, schluckte und rang mir ein Lächeln ab. „Schmecken toll. Danke.“
Mrs Albright lächelte und machte es sich auf dem Stuhl gemütlich, auf dem ich gerade gesessen hatte. „Iss so viel, wie du möchtest.“
Carrie schüttelte den Kopf und stürzte sich auf ihren Kuchen. Sie beobachtete mich skeptisch, während ich nach einer Ausrede suchte, um nicht noch mehr von dem übersüßten Obst essen zu müssen.
Nachdem Anne ihre Geschenke geöffnet hatte, gingen ihre Eltern in das einzige Schlafzimmer der Hütte, und wir machten es uns auf Schlafsäcken vor einem kleinen Fernseher gemütlich. Dass wir bei Geburtstagsfeiern die Lieblingsfilme des Geburtstagskindes sahen, hatte bei uns schon Tradition. Im Stapel für heute Abend warteten
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