Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
„Nö.“
„In Ordnung. Dann helfe ich mal deiner Großmutter mit dem Abendessen. Freut mich, dass du einen schönen Tag hattest.“
„Danke, Mom. Ich komme gleich.“ Mein Magen, der sowieso rumorte und völlig übersäuert war, verkrampfte sich bei dem Gedanken an das Essen. Lügen könnten bei mir wirklich diätfördernd wirken, wenn sie mich nicht vorher umbrachten.
Als sie ging und die Tür hinter sich schloss, konnte ich endlich wieder frei atmen.
Jetzt musste ich nur noch beten, dass sich morgen alle Sorgen als unbegründet erweisen würden.
Tristan
Vor der Tür seines Arbeitszimmers holte ich tief Luft. Dann klopfte ich.
„Herein“, rief Dad mit dröhnender Stimme.
Zu meiner Überraschung war Emily schon da. Sie umarmte ihn gerade.
„Danke fürs Zuhören, Dad“, sagte sie, während sie zu mir rüberkam.
„Jederzeit, Prinzessin.“ Sein breites Lächeln war unter seinem üppigen grauen Bart kaum zu erkennen.
Was? Ich suchte in Emilys Gesicht nach einem Zeichen dafür, warum sie da war. Sie besuchte Dad nie in seinem Arbeitszimmer, sondern unterhielt sich mit ihm lieber beim Abendessen oder beim Golfspielen.
Verstohlen streckte sie beide Daumen nach oben, bevor sie an mir vorbei hinausging. Sie hatte irgendwas ausgeheckt. Ich konnte nur darauf vertrauen, dass es mir helfen würde.
„Hallo, mein Sohn. Komm rein und setz dich.“ Er klang ernst. Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden.
Gespielt gelassen setzte ich mich in einen der beiden Ledersessel vor seinem wuchtigen Eichenschreibtisch.
„Du trägst ja Sportsachen.“ Er lockerte seine Krawatte und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
Ich warf einen Blick auf den Kapuzenpulli und die Jogginghose, die ich angezogen hatte. „Ja, zum Training.“
„Hm. Ja. Apropos, gut, dass du hier bist. Ich habe gehört, dass du heute in der Schule Schwierigkeiten hattest.“
Fast hätte ich unwillkürlich die Fäuste geballt. Was hatte Emily ihm erzählt? „Ja, ein bisschen.“
„Emily hat auch gesagt, du hättest sie um Hilfe gebeten.“
Sie hatte doch nicht über unser Gespräch im Auto gepetzt, oder?
„Verstehe.“ Er hatte also mein Schweigen als Antwort missverstanden. „Haben deine Erdungsübungen nicht geholfen?“
Ach, Emily hatte ihm also stattdessen von meinen Energiespitzen erzählt. „Na ja, irgendwie schon. Sie hat mir erklärt, wie ich einen Baum bei der Schule zum Erden nutzen kann. Und es hat funktioniert.“
„Hm-hm. Aber es klingt so, als hättest du immer noch überschüssige Energie, oder?“ Er trank einen Schluck, nahm einen Brief, der auf dem Schreibtisch lag, in die Hand und las ihn stumm.
Er beachtete mich schon fast nicht mehr. „Deswegen wollte ich eigentlich mit dir reden. Manchmal habe ich zu viel Energie, sogar nach dem Erden. Und heute habe ich überlegt, dass sie sich vielleicht aufstaut, weil ich sie nicht nutze.“
Er musterte mich scharf mit seinen grünen Augen. Dann ließ er den Brief fallen und stellte sein Glas auf die Schreibtischunterlage. Der dumpfe Knall hallte durch das stille Zimmer. „Sprich weiter.“
Hatte ich es schon versaut? „Deshalb habe ich gedacht … vielleicht sollte ich mich langsam richtig auf meine Ausbildung konzentrieren. Emily hat gesagt, dass die Kräfte nicht verschwinden, wenn man sie ignoriert. Aber wenn ich lernen könnte, wie man sie einsetzt …“
„Moment mal.“
Mist, ich hatte es wirklich versaut. Ich hielt den Atem an.
Er stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. „Heißt das,nachdem du monatelang nicht üben wolltest, bist du jetzt endlich bereit, dich reinzuknien und zu lernen?“
Ich räusperte mich, wartete einen Moment und nickte.
Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Dann schlug er mir mit seiner riesigen Pranke auf die Schulter. „Na prima, dann fangen wir an! Richtig angezogen bist du schon. Das ist gut. Hast du etwas gegessen? Wenn du dich heute in der Schule geerdet hast, musst du deinen Körper stärken und Energie auftanken.“
Ich lächelte erleichtert und stand auf. „Ja, Dad. Ich habe gerade ein paar Sandwiches gegessen und Milch getrunken.“
„Gut, gut, gut. Dann gehen wir jetzt in den Garten und legen los. Auf uns wartet eine Menge Arbeit.“
Ich musterte das Hemd und die Stoffhose, die er noch trug. „Willst du dich nicht erst umziehen?“
„Warum sollten wir Zeit verschwenden? Ich habe tausend Anzüge.“
Als wir den Garten, von dem im Dämmerlicht nicht mehr viel zu sehen war,
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