Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
Asphalt. Wir standen auf einem Flachdach, das einen Blick über ganz Jacksonville bot.
Hinter ihr drängten sich Jungs zusammen, die ich aus der Schulekannte. Aufgeregt und mit wirren Blicken starrten sie Savannah an, als wollten sie sich jeden Moment auf sie stürzen. Wie ein Rudel Schakale, die nach ihren Fersen schnappten. Was hielt sie zurück?
Ich würde das tun.
Zahlenmäßig waren sie überlegen, aber ich musste es trotzdem versuchen. Wenn ich Savannah bei einem Angriff nah genug war, könnte ich uns vielleicht beide mit einem Abwehrzauber schützen. Falls das nicht funktionierte, müsste ich die größte Wucht des Angriffs abfangen und den Zauber auf sie konzentrieren, solange ich konnte.
Im Traum flüsterte eine Stimme, ihre Stimme, nur rauchiger, aufreizender. Savannahs Stimme als düstere Verführerin. Aber ihre Lippen bewegten sich nicht. „Sieh sie dir an, Savannah. Gib ihnen, wonach sie sich sehnen, und sie stillen deinen Durst.“
Die Worte ergaben keinen Sinn.
Savannah schien sie allerdings zu verstehen. Tränenüberströmt schüttelte sie den Kopf und flüsterte: „Nein. Ich werde sie nicht ansehen. Das ist nicht richtig.“
„Sieh sie an!“, kreischte die Stimme, und Savannah hob beide Hände an das goldene Medaillon, das sie immer um den Hals trug.
„Nein, Sav, tu das nicht.“ Ich wollte zu ihr gehen, aber eine heiße, unsichtbare Barriere, wie erhitztes Glas, hielt mich zurück. Ich stemmte die Hände dagegen, damit sie nachgab und mich durchließ. „Savannah, hör mir zu. Sieh sie nicht an.“
Die Jungen bleckten knurrend die Zähne, sie verloren allmählich die Geduld und rempelten sich gegenseitig an. Wie eine einzige brodelnde Masse kamen sie langsam näher.
„Savannah“, rief ich. Aber sie konnte mich nicht hören.
Fluchend schlug ich gegen die Barriere zwischen uns. Die Hitze verbrannte mir die Knöchel.
Sie ging an den Rand des Daches und sah hinunter.
Mich packte die nackte Panik. „Savannah, nicht! Warte auf mich.“ Immer wieder hämmerte ich gegen die unsichtbare Wand, mit meinen Fäusten, meinem Willen und meiner Macht, ich warf mich sogar mit der Schulter dagegen. Meiner Kehle entstieg ein unheimliches Knurren.
„Du wirst der Versuchung nachgeben“, flüsterte die böse Stimme siegessicher. „Du brauchst sie. Du brauchst ihre Kraft.“
„Nein. Niemals“, versprach Savannah mit tonloser, erstickter Stimme.
Und dann sprang sie hinunter.
„Nein!“ Mein Brüllen verschlang mich, bis ich dachte, es würde nie wieder aufhören. Ich wurde fast verrückt. Ich spürte richtig, wie ich fast den Verstand verlor, aber es war mir egal. Mir war alles egal außer den Schmerzen, die in Wellen über mich hereinbrachen und mich in die Knie zwangen.
Ich brauchte sie. Sie musste leben, auch wenn wir nicht mehr zusammen sein konnten.
Ich schrie immer noch meinen Schmerz heraus, als ich am nächsten Morgen verfroren und zerschlagen auf dem nassen Rasen aufwachte.
Minutenlang saß ich da, biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien, und atmete schnell und heftig durch die Nase. Ich spürte ein Brennen in der Brust. Meine Fäuste brannten. Das taufeuchte Gras verschaffte meinen Händen Linderung und kühlte die Flammen auf meiner Haut.
Nur ein Traum. Aber er hat sich viel zu echt angefühlt, genauso realistisch wie damals in der vierten Klasse, wenn ich von ihr geträumt habe.
Ich hielt meine Hände in der Morgendämmerung hoch und starrte sie an. Sie waren nicht einmal gerötet. Dabei waren mir die Schmerzen so echt vorgekommen.
Seufzend trocknete ich sie an meiner Jogginghose und sammelte die verzauberten Bonbons ein. Jetzt musste ich mich wieder der Wirklichkeit stellen und mich für die Schule fertig machen.
Aber die Erinnerung an diesen Traum wurde ich nicht los. Die schreckliche Angst und die Schmerzen begleiteten mich den ganzen Tag lang. Vor dem Unterricht brachte ich kaum mehr als „Hier“ und „Danke“ heraus, als ich Anne vor dem Hauptgebäude die Schutzamulette in die Hand drückte. Ich konnte mir nicht mal auf dem Flur oder in den ersten Kursen ein falsches Lächeln abringen,vom Reden ganz zu schweigen.
Mittags konnte ich nichts essen, erst recht nicht, nachdem ich Savannah in der Cafeteria mit ihren Freundinnen gesehen hatte. Heute trug sie ihr Haar ausnahmsweise offen. Die Spitzen sahen nass aus, vielleicht hatte sie nach dem Tanzen geduscht. Ihre langen roten Strähnen, die sie bei jeder Bewegung umspielten, erinnerten mich zu sehr an den
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