Herzblut - Gegen alle Regeln (German Edition)
nicht ausnahmsweise mal darum kümmern, was seine Tochter brauchte?
Andererseits … er flehte mich ja schon fast an. Und obwohl er letztes Jahr kein einziges meiner Spiele besucht und früher nie mit mir Vatertag gefeiert hatte, obwohl ich ihn nur ein paarmal im Jahr sah, obwohl ich das Tanzen liebte und dadurch endlich meinen Platz an der Schule gefunden hatte, war ich in Versuchung. Nachdem ich ihn jahrelang hatte stolz machen wollen, war ich aus reiner Gewohnheit versucht, meine Träume aufzugeben, auf alles zu verzichten, was mir wichtig war, weil er es so wollte. Egal ob er nun ein Vampir war oder nicht, er war mein Vater, und ich liebte ihn. Auch wenn es kaum Grund dafür gab. Endlich schien sich die perfekte Gelegenheit zu bieten, ihn stolz zu machen. Ich musste nur das Einzige aufgeben, worin ich je gut gewesen war. Das Einzige, was ich tun wollte.
Aber was wäre ich noch, wenn ich das Tanzen aufgab? Was würde mir bleiben? Es war meine einzige Chance, irgendwo dazuzugehören. Er hatte keine Ahnung, wie es an der Schule für mich war oder wie sich mein Leben ändern würde, wenn ich es zu den Charmers schaffte. Er wusste nicht, worum er mich da bat.
Nein. Ich konnte nicht aufhören. Nicht einmal für ihn.
„Ich habe nur das Tanzen, Dad. Tut mir leid, wenn das dir und dem Rat egal ist. Aber Mom und Nanna kennen die Risiken, und sie haben mir trotzdem erlaubt, in diesem Jahr tanzen zu lernen. Solange es für sie in Ordnung ist, mache ich weiter.“
Seine Miene versteinerte sich. Er sah im Regen aus wie eine kalte Statue. „Es tut mir sehr leid, das zu hören.“
Und da war wieder das, wogegen ich die ganzen Jahre so hart angekämpft hatte. Er war von mir enttäuscht.
Fast zu erschöpft für eine Antwort, wandte ich mich ab, um hineinzugehen. „Mir tut es auch leid.“ Es tat mir leid, dass ich nicht die Tochter sein konnte, die er sich wünschte. Dass ich ihn so teuer zu stehen gekommen war. Vielleicht hätten er und Mom mich doch nicht bekommen sollen.
Ich öffnete die Tür zum Theater, aber etwas brachte mich dazu, mich umzusehen. Endlich konnte ich in seinen Augen den Anflug eines Gefühls erkennen. Allerdings gefiel mir nicht, was ich sah. Er wirkte besorgt. Und das schmerzte mich noch mehr.
„Dad, du musst dir keine Sorgen machen. Ich bemühe mich, nicht aufzufallen, versprochen. Ich werde deine Welt nicht verraten.“
„Ich glaube dir, dass du es versuchst. Hoffentlich hat der Rat genauso viel Vertrauen, dass es dir gelingt.“ Damit wandte er sich ab und ging.
Meine Ballettschuhe konnte ich wegwerfen. Auf dem Heimweg in Nannas Auto starrte ich sie an.
In meinem Kopf hallten Dads Worte wider. Mit jedem Echo versetzte es mir einen Stich, wie er das Wort versuchst betont hatte. Er wusste, dass ich versuchen würde, nicht aufzufallen, aber offensichtlich glaubte er nicht, dass ich es schaffte.
Mit zusammengebissenen Zähnen ließ ich meine Wut an den durchweichten Schuhen aus und quetschte sie zusammen.
Wieso sollte es mich eigentlich interessieren, was Dad dachte? Ich sah ihn kaum, im Grunde waren wir uns fremd. Es war dumm. Genau wie bei Tristan war mir jemand wichtig, der mich kaum beachtete. Beide hatten mir unzählige Male wehgetan. Wieso konnte ich sie nicht einfach aus meinen Gedanken und meinem Herzen verbannen, damit sie mich nicht mehr treffen konnten? War ich eine Masochistin, die sich unglücklich machen musste?
„Was genau hat dein Vater gesagt, Schatz?“, fragte Mom vom Beifahrersitz aus. Trotz ihrer sanften Stimme tat die Frage weh. Ich wollte vergessen, was er gesagt hatte.
„Na ja, er glaubt, ich hätte ein neues Problem. Ich war immer inallem mies. Jetzt sagt er, ich wäre zu gut. Ich soll mit dem Tanzen aufhören. Er meint, wenn ich weitermache, würde ich die ganze Vampirwelt auffliegen lassen. Irgendwas Blödes in der Art.“
Unter dem flackernden Licht der Straßenlaternen gruben sich Sorgenfalten in Moms Stirn. Sie sah zu Nanna hinüber, die hinter dem Steuer saß.
„Savannah, vielleicht …“, setzte Nanna an, als sie um eine Kurve fuhr.
„Ja, vielleicht solltest du dieses Mal auf deinen Vater hören“, beendete Mom den Satz.
Ich starrte sie an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“
„Na ja, wie oft hat er dich mal um etwas gebeten?“, fragte Mom.
„Weil er weiß, dass er kein Recht dazu hat!“ Die Worte platzten aus mir heraus. Aber ich konnte sie nicht zurücknehmen, weil sie stimmten. Mein Vater hatte mich gezeugt, aber das machte ihn noch
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