Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
Zimmer zu Zimmer vorarbeiteten. Nach nicht einmal einer Minute war der Tumult vorbei.
»Keiner da«, lautete der knappe Kommentar eines der schwarz Gekleideten, der daraufhin seine Maske vom Gesicht zog. Kluftinger blickte in ein für ihn überraschend jungenhaftes Gesicht. Nach dem Auftritt eben hatte er ein Gegenüber mit markanteren Zügen erwartet. Er zuckte mit den Schultern und sah den Mitgliedern der Spezialeinheit dabei zu, wie sie die Wohnung wieder verließen. Als sich der Letzte an ihm vorbeischob, tippte der sich zum Gruß an die Stirn und sagte zum Kommissar: »Gott mit dir.«
Du mich auch,
lag dem Kommissar auf der Zunge, doch er verkniff sich jeglichen Kommentar. Er hoffte, dass die Episode möglichst schnell in Vergessenheit geraten würde – obwohl er insgeheim wusste, dass sie noch in vielen bierseligen Runden hervorgekramt werden würde.
Hefele trat zu ihm. »Ich hab die Fahndung schon veranlasst. Jetzt können wir nur noch hoffen.«
»Das reicht mir nicht«, erwiderte Kluftinger und begann, sich in der Wohnung umzusehen. Sie war so ärmlich eingerichtet, wie das die finanzielle Situation von Herrn und Frau Burlitz hatte vermuten lassen. Allerdings war alles penibel sauber, das fiel Kluftinger auf. Ob sie einfach über einen ausgeprägten Ordnungssinn verfügten oder versucht hatten, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, vermochte er im Moment nicht zu sagen. Komisch allerdings kam ihm vor, dass die beiden offensichtlich nicht über ein gemeinsames Schlafzimmer verfügten. Stattdessen befanden sich in zwei kärglich eingerichteten Räumen lediglich Einzelbetten.
»Klufti?« Strobl rief aus dem Treppenhaus.
Als der Kommissar hinaustrat, sah er seinen Kollegen neben einer älteren Frau in Leggins und Pullover stehen, die nervös ihre Finger knetete.
»Frau Merk hier wohnt zwei Stock weiter oben«, erklärte Strobl. Bevor er weiterreden konnte, platzte es aus der Frau heraus: »Ich hab heut Nacht einen Lärm gehört, also, Lärm ist vielleicht das falsche Wort, eher so ein, ich weiß auch nicht, jedenfalls bin ich wach geworden, ich schlaf ja so schlecht, seit der Geschichte mit meinem Kreuz, jedenfalls bin ich wach geworden und gleich zum Fenster, also nicht, dass ich neugierig bin, aber man liest ja so viel, und wo ich sowieso grad wach war, hab ich gedacht, aber ist ja jetzt egal, ich bin jedenfalls zum Fenster, und da hab ich sie im Auto wegfahren sehen.«
Kluftinger wartete ein paar Sekunden, um die Informationen aus dem Redeschwall herauszufiltern. Dann fragte er: »Wen?«
»Die Burlitzens. Also beide. Sind weggefahren. Und es war ja schon spät, also eher früh, ich hab nicht auf die Uhr geschaut. Fünf Uhr vierunddreißig. Ungefähr.«
Die Polizisten blickten sich an. »Können also noch nicht so weit sein«, formulierte Strobl den Gedanken, den sie beide hatten.
»Haben sie denn irgendwas ausgefressen?«
Kluftinger hatte schon auf die Frage gewartet. Sie kam immer, wenn Nachbarn etwas gesehen haben wollten. »Bin mir nicht sicher«, antwortete er knapp.
Die Frau nickte. »Ja, freilich, ich mein ja nur, weil ich mir das schon immer gedacht hab, dass da was nicht stimmt mit denen.«
Kluftinger seufzte.
»Seit sich der Vater umgebracht hat, damals wegen dem Unfall, also da war’s vorbei. Da sind die ganz anders geworden. Die ganze Familie wohnt ja schon immer hier.«
»Wann hat die Jessica Burlitz denn geheiratet?«
»Geheiratet? Nicht dass ich wüsste.«
»Na ja, der Herr … also dieser Roger …«
»Ach was, das ist doch ihr Bruder! Die sind beide ledig.«
Kluftinger nickte. Nun fügten sich noch mehr Bausteine zusammen. Das verwaiste Geschwisterpaar, das mit seinem Kummer über den Tod der Eltern nicht hinwegkam.
»Die Mutter ist ja dann auch krank gewesen, schlimm, also ich will nix sagen, aber das hat denen den Rest gegeben, da würd man sich ja nicht wundern, wenn einen so was aus der Bahn wirft. Es kommt immer eins zum anderen. Jedenfalls der Auslöser, das war der Selbstmord, da können Sie fragen …«
»Danke, Frau Merk.« Kluftinger hatte keine Nerven mehr für die redselige Nachbarin und ging wieder in die Wohnung. Dort betrat er die Küche, in der Hefele wie versteinert in eine Schublade starrte.
»Was gefunden?« Der Kommissar schaute ebenfalls hinein und schluckte, als er sah, was die Aufmerksamkeit seines Kollegen erregt hatte. Es waren dieselben Streichholzhefte, die sie bei den Opfern gefunden hatten: schwarz, ohne Aufschrift, mit schwarzen
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