Herzen aus Asche
deutete auf Selbstmord hin. Ich habe es nie angezweifelt, denn sie hatten einen guten Grund, des Lebens überdrüssig zu sein.« Er sah Amelie an, als erwartete er einen Schlag ins Gesicht - die Augenbrauen hochgezogen, den Mund zusammengepresst. Offensichtlich fürchtete er sich vor dem, was sie darauf erwidern würde.
»Sie müssen nicht darüber sprechen, wenn es Ihnen unangenehm ist. Es geht mich auch gar nichts an.« Sie bemühte sich um einen sanften Tonfall, denn seine plöt zliche Verletzlichkeit jagte ihr einen Schauder über den Rücken.
»Würde es Sie denn gar nicht stören, dass Me nschen hier gestorben sind? Vorausgesetzt, sie sind überhaupt noch an meinem Angebot interessiert.«
Über diesen Aspekt hatte Amelie in der Tat noch nicht nachgedacht. Jedoch glaubte sie nicht, dass noch irgendwelche Spuren im Haus zu finden waren. Siche rlich hatte man den Wintergarten gereinigt und an Gruselgeschichten glaubte sie nicht. »Es würde mich nicht stören. Ich kannte Ihre Eltern doch gar nicht.«
Herr Eriksson zog die Augenbrauen hoch. Amelie machte eine beschwichtigende Geste. »Natürlich spr eche ich Ihnen meinen tiefstes Beileid aus. Ich meinte es nicht böse.«
Er rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Sie haben n atürlich recht. Sie verbinden nichts Persönliches mit diesen Gemäuern.« Er strich sich durch die Haare. Amelie fiel auf, dass sie noch immer feucht wirkten und nicht zu trocknen schienen. Vielleicht verwendete er ein Haargel.
»Die Menschen in diesem Dorf sind sehr aberglä ubisch. Ich habe große Probleme, einen Mieter für das Haus zu finden, weil sich die meisten Interessenten vor einem alten Gebäude fürchten, in dem es angeblich spuken soll.«
»Spuken?«
Herr Eriksson machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die Fantasie mancher Leute ist grenzenlos. Es beleidigt mich, wenn sie behaupten, hier hausten die Geister von Verstorbenen. Immerhin waren sie meine Eltern.«
»Ich verstehe. Nun, ich fürchte mich jedenfalls nicht vor Schauermärchen.«
Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Das freut mich zu hören. Aber bitte, nennen Sie mich Leif.« Er streckte die Hand aus, Amelie griff danach.
»Amelie, sehr erfreut.«
»Wollen wir uns die oberen Stockwerke ansehen?«
»Gerne.«
Leif ging voran und betrat die breite Edelholztreppe. Amelie fiel erst jetzt auf, dass er sich nicht ein einziges Mal danach erkundigt hatte, weshalb sie allein zur Besichtigung erschienen war, obwohl sie in einem kurzen Telefongespräch am Vortag sich und ihre Freundin Sara angekündigt hatte. Sie schüttelte den Gedanken ab. Er hatte sich sicherlich nichts dabei gedacht. Zu ihrer Erleichterung schien Leif ein überaus freundlicher und angenehmer Zeitgenosse zu sein. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er ahnungslose Frauen in sein Haus lockte, um sie dort zu vergewaltigen oder zu töten.
Am Ende der Treppe befand sich ein quadratischer Flur. Von den drei Wänden, die nicht vom zwei Meter breiten Treppenabsatz eingenommen wurden, zwei gten je zwei Türen ab. Leif deutete nacheinander auf jede einzelne.
»Dort ist der Rauchersalon, daneben die Bibliothek. Geradeaus geht es in einen weiteren Flur, von dem drei Gästezimmer abzweigen. Meine Eltern haben die Räume früher als Kinderzimmer für mich genutzt.« Leif warf Amelie einen Seitenblick zu und lächelte verschmitzt. »Ich habe als Kind alle drei für mich allein gehabt. Die Türen rechts führen zum Schlafzimmer, das du bewohnen würdest, und zu einem Badezimmer, allerdings ohne Dusche. Parterre befindet sich die Küche, das Wohnzimmer und ein weiteres Badezimmer. Im Untergeschoss sind der Weinkeller und die Abstellkammern. Ach, und die Zimmer der Hausangestellten natürlich, als es noch welche gab.«
Amelie ließ den Blick durch den Flur schweifen. In den Ecken wirbelten Staubflocken umher, und die Fu ßleisten vermittelten den Eindruck, bei der kleinsten Berührung in ihre atomaren Bestandteile zu zerfallen. Vermutlich hatte es für einen langen Zeitraum keine Hausangestellten mehr gegeben. Und wenn, mussten sie äußerst schlampig gewesen sein.
Leif schien ihren skeptischen Blick zu bemerken. »Selbstverständlich verlange ich von dir nicht, das Haus innerhalb einer Woche auf Hochglanz zu poli eren. Ich weiß, wie viel Arbeit es sein wird. Ich bin schon froh, wenn hier regelmäßig geheizt wird. Es ist Sommer, aber mit jedem Winter nehmen die Schäden am Gemäuer zu.«
»Was ist mit dem Garten? Du
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