Herzen aus Asche
sagtest, es gebe einen Wintergarten. Ich habe gesehen, dass draußen das U nkraut wuchert. Soll ich mich darum auch kümmern?«
»Der Wintergarten ist tabu.« Mit einem Mal klang seine Stimme wieder geschäftsmäßig und nüchtern.
»Ebenso wie das oberste Geschoss.«
Amelie fiel auf, dass es keine Treppe gab, die weiter nach oben führte, obwohl das Gebäude über der Pa rterre noch zwei Stockwerke besaß.
Leif schüttelte sich kurz, als müsste er seine Gedanken abschütteln. Dann lächelte er wieder. »Lass die Tür zum Garten geschlossen. Ich möchte dort nichts verändern. Meine Erinnerungen hängen daran. Wenn du dich um den Vorgarten kümmern könntest, wäre ich dir dankbar. Ich verlange es aber nicht von dir.«
Amelie nickte. Eine Weile lang sagte niemand ein Wort. Sie studierte Leifs Profil, während er den Blick sehnsuchtsvoll über das Parkett schweifen ließ, als eri nnerte er sich an eine bessere Zeit. Sein dunkler Dreitagebart ließ ihn ausgesprochen männlich wirken, und unter dem gut sitzenden Jackett spannten sich seine Muskeln. Er stand sehr dicht neben ihr, und dennoch nahm sie keinen Geruch wahr. Kein Parfum, kein Deo, nichts.
»Weshalb engagierst du keine Handwerker oder e ine Putzkolonne, die für Ordnung sorgen könnten?«
Leif drehte den Kopf in ihre Richtung. In seinen A ugen las Amelie Verwirrung. Man merkte ihm förmlich an, wie er nach einer passenden Antwort rang. »Es wäre mir einfach lieber, wenn jemand dauerhaft hier wohnen könnte. Und ich bin unendlich froh, eine nette junge Dame dafür gefunden zu haben. Ich hatte schon befürchtet, es würden sich nur Obdachlose melden.«
»Ich kann dir nicht versprechen, dass ich der Au fgabe gewachsen sein werde. Ich muss viel für meine Prüfungen lernen.«
»Du studierst.. . was noch gleich? Kunstgeschichte, oder?«
»Ja . Dieses Haus wäre gleichsam Unterkunft und Studienobjekt.« Sie schenkte Leif ein breites Lächeln, das er bereitwillig erwiderte. Amelie spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen.
»In der Bibliothek gibt es viele Bücher über Geschic hte. Vielleicht wäre etwas für dich dabei. Du darfst sie gerne lesen.«
»Das ist ein wirklich großzügiges Angebot, Leif. Und ich würde mich sehr freuen, wenn ich hier wohnen dür fte. Ab Ende diesen Monats wäre ich entweder obdachlos gewesen, oder ich wäre zurück zu meiner Mutter in die winzige Wohnung gezogen. Grauenhaft.«
Leif lachte, sympathisch und echt. »Wir profitieren a lso beide von dem Arrangement. Besser hätte es doch gar nicht laufen können. Und ich verspreche dir, dass du die nötige Ruhe finden wirst, um zu lernen. Hier kommt niemand hin, sogar die Einbrecher meiden die Villa. Post kam schon lange keine mehr an.«
»Darf ich fragen, was deine Eltern beruflich g emacht haben? Immerhin konnten sie sich eine Villa mit Angestellten leisten.«
»Mein Vater hat mit Immobilien gehandelt. Er lie bte Häuser wie dieses. Es wurde im neunzehnten Jahrhundert gebaut, ist also noch nicht so alt wie der Baustil annehmen lässt. Es hat einst einem Architekten gehört.«
»Hast du die Geschäfte deines Vaters überno mmen?«
Leif antwortete nicht sofort, und Amelie glaubte schon, sie habe eine zu private Frage gestellt. Sie biss sich auf die Unterlippe.
»Nein. Ich arbeite freiberuflich in einer ganz anderen Branche.« Er machte auf dem Absatz kehrt und schickte sich an, die Treppe wieder hinunter zu steigen. Amelie stellte ihm keine weiteren Fragen. Sie schämte sich für ihre Neugier.
Leif zeigte ihr den Rest des Hauses. Er blieb freun dlich, aber distanzierter. Amelie ließ sich ihre Verunsicherung nicht anmerken. Er wies sie darauf hin, dass es keinen Telefonanschluss gab, auch kein Internet. Sie würde auch ohne Fernsehanschluss auskommen müssen. Allerdings könne sie sich eine Zimmerantenne und einen mobilen Internetanschluss besorgen. Allerdings dürfe sie keine Einrichtungsgegenstände entsorgen oder umstellen. Amelie war es einerlei. Sie freute sich schon jetzt auf die Schätze in der Bibliothek im Obergeschoss.
Als es bereits dämmerte, verabschiedeten sie sich vo neinander. Leif gab ihr den Schlüssel zur Vordertür. Er setzte keinen Vertrag auf und verlangte weder Pfand noch den Personalausweis. Sie wunderte sich zwar darüber, sagte jedoch nichts dazu. Wenn es Probleme geben sollte, könne sie Leif jederzeit anrufen, versicherte er ihr. Amelies Herz schlug vor Freude heftig gegen ihre Rippen. Eine Villa für umsonst! Das musste Sara unbedingt
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