Herzen aus Asche
sehe.«
Amelie klopfte mit der linken Hand auf die Sitzfläche neben sich und lud ihn ein, sich zu ihr zu setzen. Er ließ sich von der Armlehne herunter rutschen.
»Was geht hier vor?« Sie bemühte sich, einen milden Tonfall anzuschlagen. »Du bist mir eine Erklärung schuldig, auch wenn sie unglaubwürdig klingen sollte. Glaube mir, ich habe mich mittlerweile mit dem Gedanken angefreundet, dass es Geister und paranormale Phänomene gibt.«
Er wandte ihr ruckartig den Kopf zu, in seinen Augen lag ein erschrockener Ausdruck. »Tatsächlich?«
»Was bleibt mir anderes übrig?« Amelie deutete auf das Witchboard, das vor dem Sofa auf dem Boden lag. »Weißt du, was das ist?«
»Ich habe davon gehört. Menschen glauben, damit mit Geistern sprechen zu können. Ich halte das für Hokusp okus, genau wie Tarotkarten und Pendel.«
»Das habe ich auch immer gedacht. Bis ich tatsächlich Zeuge einer Geisterbeschwörung wurde. Und zwar g enau mit diesem Brett. Es ist zwei Jahre her. Bislang habe ich mir eingeredet, mir das sprechende Poster über meinem Bett eingebildet zu haben, aber seitdem hier Möbel zu Asche zerfallen, ist mein Weltbild völlig durcheinander geraten.«
Leifs Blick wanderte zwischen dem Brett und Amelie hin und her. »Kannst du mir genau erzählen, was damals pa ssiert ist?«
Die Tatsache, dass Leif weder belu stigt noch skeptisch klang, sondern völlig nüchtern und ernst, beunruhigte Amelie. Sie wäre besser damit zurechtgekommen, wenn er sie ausgelacht hätte. Sie erzählte ihm die ganze Geschichte, und er hörte ihr aufmerksam zu. Gelegentlich nickte er, als empfinde er es als normal, sich mit einem Kunstdruck der Mona Lisa zu unterhalten.
»Mir wäre neu, dass diese Bretter einen Geist ins Diesseits locken kö nnen, aber ich kann es auch nicht abstreiten.« Leif lehnte sich im Sofa zurück, seine Schulter streifte dabei wie zufällig die von Amelie. Ein wohliger Schauder durchzuckte sie.
»Du sprichst, als hättest du Erfa hrung mit Geistern.« Amelie konnte kaum glauben, über was sie sich mit dem smarten Hauserben unterhielt. Geister? Sie war dem Alter, an diese Dinge zu glauben, längst entwachsen, aber nach allem, was ihr widerfahren war, konnte sie nicht länger abstreiten, dass es etwas jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens geben musste. Seltsamerweise bereitete ihr der Gedanke daran keine Angst.
»Es hat keinen Sinn mehr, dir eine natürlich e Ursache für das Ascheproblem zu kredenzen, oder?« Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, und Amelies Körper überzog eine Gänsehaut. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Du bist kein besonders guter Lü gner.«
»Vermutlich nicht.«
Eine Weile lang hüllten sie sich in Schweigen, sahen einander nur in die Augen. Amelies Magen schien Achterbahn zu fahren. Zum ersten Mal gestattete sie sich, den gutaussehenden Fremden genauer zu betrachten. Die blauen Augen unter den dichten dunklen Brauen, das lässig zurück gestrichene Haar, die breiten Schultern. Seine schlichte Kleidung zeugte von Bescheidenheit, die großen gepflegten Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln. Sie schaffte es kaum, seinem eindringlichen Blick standzuhalten und fragte sich immer wieder, was er von ihr dachte. Ob er genauso für sie empfand? Seine Mimik verriet nichts. Als er schließlich seine Hand auf ihre legte und sich ein entwaffnendes Lächeln auf sein Gesicht stahl, glaubte Amelie, in Ohnmacht fallen zu müssen. Er war ein Fremder! Ein Mann, den sie überhaupt nicht kannte. Obwohl sie sich geschworen hatte, den Warnungen ihrer Mutter keine Beachtung mehr zu schenken, konnte Amelie das Korsett ihrer strengen Erziehung nicht abstreifen. Ein schlechtes Gewissen streifte sie und sie senkte den Blick.
Sie spürte, wie seine Finger über ihren Oberarm str ichen. »Ich bin so froh, dass du hier geblieben bist.«
Amelie wagte es nicht, ihm ins G esicht zu sehen. Das Blut in ihren Ohren rauschte so laut wie das tosende Meer.
»Weshalb ausgerechnet ich?« Sie erschrak ob ihrer e igenen dünnen Stimme.
»Du hast nicht durch Zufall meine Karte mit der Annonce im Briefkasten gefunden.« Er legte zwei Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Sie betete, nicht in Tränen auszubrechen. Einen Moment lang wünschte sie, der Villa den Rücken gekehrt zu haben, als noch die Möglichkeit dazu bestand - ehe Leif ihr den Kopf verdreht hatte. Jetzt fühlte sie sich einfach nicht mehr imstande dazu. Der Gedanke, je wieder zur Universität zu gehen und einem
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