Herzen aus Asche
öffnete die Luke und ließ die Leiter hinunter gleiten. Eine kaum zu ignorierende Neugier, die nicht natürlichen Ursprungs zu sein schien, ergriff von ihr Besitz. Irgendetwas dort oben zog sie magisch an, wie auch schon beim letzten Mal. Für gewöhnlich sah es ihr nicht ähnlich herumzuschnüffeln, und schon gar nicht, wenn sie den Ort, an den sie zu gelangen gedachte, mit schaurigen Erinnerungen verband. Beim letzten Mal, als sie ins Obergeschoss gestiegen war, war ein Bilderrahmen vor ihren Augen zu Asche zerfallen. Damals hatte ihr der Anblick Todesangst bereitet. Mittlerweile verspürte Amelie nichts als Neugier, wenn sie über die seltsamen Vorkommnisse in der Villa nachdachte. Seltsam, dass man sich sogar an solche Dinge gewöhnen konnte. Zerfallende Möbel bereiteten ihr allenfalls noch Unbehagen. Leif hatte ihr gesagt, sie bräuchte sich davor nicht zu fürchten, sie glaubte ihm. Sie hätte ihm alles geglaubt ...
Ihr Herz machte einen Sprung als sie an ihn dachte. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, sich in einen Fremden verlieben zu können, von dem sie außer seinem Namen überhaupt nichts wusste.
Die Sprossen knarrten, und der vertraue Geruch von Staub und altem Holz stieg ihr in die Nase, als sie den riesigen Raum im zweiten Stockwerk betrat. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich nichts verändert. Es war still.
Unwillkürlich glitt ihr Blick zu dem nun rahmenlosen Bild herüber, das noch immer an der Wand lehnte. Davor der Haufen Asche, unberührt. Als sie beim letzten Mal hier gewesen war, war es dunkel gewesen und sie hatte die Wandlampe einschalten müssen, um überhaupt etwas zu erkennen. Ihr kam in den Sinn, dass sie sie vor ihrem überstürzten Aufbruch nicht abgeschaltet hatte, aber sie brannte nicht mehr. Leif musste seitdem hier oben gewesen sein. Er hatte immer gesagt, er meide diesen Ort, weil er voller Erinnerungen sei. Wie viel Überwindung musste es ihn gekostet haben?
An diesem Tag schien die Sonne, es war erst kurz nach Mittag. Das Licht fiel in gelben Balken durch die staubblinden schmalen Fenster des. Erst jetzt bemerkte Am elie, wie viele Kisten, Truhen, Kartons, Tüten und in Tücher gehüllte Möbelstücke hier wirklich lagerten. Dieser Ort verlor seinen Schrecken bei Tageslicht, er wirkte im Gegenteil geradezu friedlich. Der Boden war schmutzig und in den Ecken klebten Spinnweben. Amelie hob eines der Tücher an. Darunter befand sich eine Anrichte aus dunklem Edelholz, vermutlich aus dem vorletzten Jahrhundert. Ehrfürchtig strich sie über die Schnitzarbeiten an den Schubladenfronten und die geschwungenen, goldenen Handgriffe. Ein wahrer Schatz, der auf dem Dachboden einer dem Verfall geweihten Villa darauf wartete, der Zerstörung anheim zu fallen. Nach und nach würden alle Möbel zerfallen, Werte von vielleicht vielen hunderttausend Kronen. Amelie würde mit Leif darüber sprechen müssen. Wenn er sich dazu entscheiden könnte, die antiken Möbel ihrer Mutter zu überlassen oder für wenig Geld an sie zu verkaufen, wäre das Antiquitätengeschäft vielleicht vor der Insolvenz gerettet. Immer noch besser, als den Dingen dabei zuzusehen, wie sie zu Asche zerfielen. Andererseits konnte Amelie nachvollziehen, dass Leif sie behalten wollte. Er hing ebenso an Altem und Vergangenem wie Amelie, konnte sich schlecht lösen.
Sie ließ das Tuch wieder sinken und ging zurück zu dem Gemälde. Der Mann auf dem Bild sah sie mit ern ster Miene an, die Pfeife locker in der Hand auf dem Schoß. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, wenn sie daran dachte, dass der graue Haufen davor einmal ein Bilderrahmen gewesen war. Der Künstler hatte den Augen des alten Herrn Leben eingehaucht, sodass es wirkte, als verfolgte er jeden von Amelies Schritten mit kritischem Blick. Sie wollte nicht von ihm beobachtet werden, deshalb hob sie die Leinwand an und drehte sie um, mit dem Gesicht zur Wand. Dabei fiel ihr ein quadratischer Einlass im Mauerwerk genau hinter dem Bild auf, etwa so lang und breit wie ihr Ellenbogen und auf Kniehöhe. Ein Geheimfach? Es bestand wie die Wand aus grauem Stein, doch in etwa einem Meter Abstand ringsum war er heller als im Rest des Raumes, als hätte ein Möbelstück über Jahre hinweg davor gestanden und den Putz dahinter vor Vergrauung und Schmutz bewahrt.
Amelie tastete die Rillen ab, um herauszufinden, ob man es öffnen konnte oder ob es sich dabei vielleicht doch nur um einen verschlossenen Lüftungsschacht ha ndelte. Ihr Herz klopfte in schnellem
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