Herzen aus Asche
er am anderen Ende der Leitung.
»Wir sind im Café Ångström.«
»Kann ich zu euch kommen? Ich bin in der Nähe.«
»Meinetwegen. Bis gleich.«
»Bis gleich.«
Amelie legte auf und steckte das Handy zurück in die Handtasche.
»Wer war das?« Mikael zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Jarik. Er kommt vorbei.«
Mikael sagte nichts, sondern gab nur einen undeutbaren Laut von sich, irgendetwas zwischen Missmut und resignierter Zustimmung.
»Weiß deine Mutter eigentlich mittlerweile, wo du wohnst?«, griff Sara das Thema wieder auf. »Es wundert mich, dass sie deine neue Bleibe noch nicht persönlich inspiziert hat.«
»Es kostet mich auch alle Mühe, sie fernzuhalten. So langsam fallen mir keine Ausreden mehr ein.« Amelie rührte gedankenverloren mit dem winzigen Kaffeelöffel in der Minitasse herum. »Sie weiß von nichts, und das ist auch besser so. Wenn sie Leif begegnen würde ...«
» Aha! Ich dachte, er sei nur ein Vermieter?«, fuhr Sara ihr über den Mund. Ihr schelmischer Tonfall und der neckische Blick trieben Amelie die Schamesröte ins Gesicht. Sie senkte den Kopf und hüllte sich in Schweigen. Hoffentlich würde Sara nicht noch weiter bohren. Amelies rotglühende Wangen verrieten bereits mehr als sie zugeben wollte.
Mikael stieß ein kurzes Lachen aus. »Ach Amelie, das ist doch nicht schlimm. Nur, weil deine Mutter dir stä ndig einredet, Flirten sei eine Todsünde, musst du dich doch nicht dafür schämen. Hey, du bist erwachsen!«
Amelie hätte ihm am liebsten den Mund zugehalten. Sie wünschte sich nichts mehr, als das Thema zu wec hseln. Glücklicherweise flog in diesem Moment die Tür auf und Jarik erschien auf der Schwelle. Er trug ein ausgewaschsenes T-Shirt und dunkelblaue Jeans, seine Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, die Wangen waren gerötet, als sei er gerannt. Unter seinem Arm klemmte ein Buch, ein beachtlicher Wälzer. Lesen zählte für gewöhnlich nicht zu Jariks Lieblingsbeschäftigungen, weshalb Amelie bei seinem Anblick die Stirn runzelte.
Jarik setzte sich auf den freien Stuhl rechts neben
Amelie. Er begrüßte seine Freunde mit einem Handschlag und legte das Buch in die Mitte des kleinen Cafétischs. Die Puppenstubentassen klirrten. »Ich hatte gehofft, dass Mikael bei euch sein würde.«
Mikael warf ihm einen verwirrten Blick zu. »We shalb?«
»Deshalb.« Jarik legte seine Hand auf den Einband des Buches. »Das habe ich heute morgen auf dem Flo hmarkt gekauft. Ich wollte deine Meinung dazu hören.«
» Meine Meinung?« Mikael stieß ein aufgesetztes Lachen aus. »Ich bin Automechaniker, Amelie ist die fachkundige Antiquitätensammlerin.«
Jarik machte eine Geste, als wollte er Fliegen ve rscheuchen. »Nein, das Buch ist keine Antiquität. Es ist ein Lexikon über Wikinger und nordische Runen. Du interessierst dich doch für so etwas, oder? Ich möchte von dir wissen, ob ich meine achtzig Kronen verschwendet habe.«
Mikael starrte Jarik einen Augenblick lang verwirrt an, und auch Sara sah nicht minder perplex aus. Es stimmte, dass Mikael sich für Wikinger, heidnische Brauchtümer und die alten nordischen Götter interessie rte, er trug sogar eine Tätowierung eines Drachenbootes auf der Wade. Aber dass Jarik urplötzlich seine Leidenschaft teilte, ließ auch Amelie ihn mit offenem Mund angaffen.
Zögerlich zog Mikael das Buch zu sich heran und schlug es in der Mitte auf. Er blätterte ein paar Seiten vor und zurück, vermittelte jedoch nicht den Eindruck, ernsthaft darin zu l esen. Er runzelte die Stirn.
»Das ist ein ganz gewöhnliches Standardwerk. Was willst du damit?« Er schlug das Buch zu, Jarik zog es zu sich heran und legte es sich auf den Schoß, als sei es ein wertvoller Schatz, den es zu beschützen galt.
»Ich möchte meinen Horizont erweitern.«
Sara prustete beinahe ihren Kaffee über den Tisch. »Du? Und weshalb au sgerechnet die alten Wikinger? Betreibst du seit Neuestem Ahnenforschung?«
»Lacht nur über mich. Ich finde das Thema unglau blich spannend.«
»Auf einmal?« Mikael schüttelte u ngläubig den Kopf. Jarik warf ihm einen verärgerten Blick zu, sagte aber nichts mehr.
Die Kellnerin kam heran und fragte, ob sie für Jarik noch etwas zu trinken bringen sollte. Er bestellte einen Milchkaffee.
Sie plauderten noch eine Weile über belanglose Dinge, über ihre Jobs, das Studium, die neuen Kinofilme und anstehende Studentenparties. Amelie fiel es mit einem Mal schwer, sich über banale Dinge des Alltags zu unterhalten, sie fühlte
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