Herzen aus Asche
sich wie eine Außenseiterin, ohne genau sagen zu können, weshalb. Für gewöhnlich wirkte Saras quirlige Art ansteckend, und gelegentlich ließ Amelie sich sogar zu einer Diskussion über Mode und Kosmetik hinreißen. Doch heute schien ihr Gehirn wie ein mechanisches Uhrwerk aus verrosteten Einzelteilen zu arbeiten. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie aus der Bahn geworfen, ihr den Boden unter den Füßen weggezogen und ihre Freunde zu Fremden werden lassen. Amelie lehnte sich im Stuhl zurück und beobachtete die anderen dabei, wie sie lachten, wild gestikulierten und einen Kaffee nach dem anderen tranken. Jarik schien Amelies Schweigsamkeit aufzufallen. Er erkundigte sich, ob mit ihr alles in Ordnung sei, aber sie speiste ihn mit der Erklärung ab, sie sei einfach nur müde. Glücklicherweise hakte niemand weiter nach. Ihr Kopf schwirrte, und ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Leif und dem Haus zurück. Seit drei Nächten zerbrach sie sich den Kopf darüber, was er ihr verheimlichte. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus und die feinen Haare auf ihren Unterarmen sträubten sich, obwohl es mitten im Sommer war. Sie konnte sein Gesicht nicht vergessen, den verzweifelten Ausdruck in seinen Augen. Er tat ihr leid. Er hatte keine Geschwister, und seine Eltern waren beide tot. Einen Augenblick lang stellte Amelie sich vor, wie sie sich fühlen würde, wenn ihre Mutter tot in ihrer Wohnung gefunden werden würde. Amelie spürte förmlich, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich, ihr wurde schwindlig.
Sie wurde aus den Gedanken gerissen, weil Jarik sie an der Schulter a nstieß.
»Hat noch jemand Hunger? Mir hängt der Magen auf den Knien, ich habe he ute nicht gefrühstückt. Sollen wir etwas essen gehen?«, fragte er in die Runde.
Sara machte eine wegwerfende Geste. »Wenn ich jetzt ans Essen denke, wird mir schlecht. Mikael hat mich heute Vormittag mit Kuchen und Obst voll g estopft.«
Jarik hob eine Augenbraue. »Kuchen und Obst? Gab es etwas zu feiern?«
»Ich habe meine Freundin lediglich zu einem romantischen Picknick nach Alt-Uppsala entführt.« Mikael grinste und offenbarte seine makellosen Zähne. »Dazu benötige ich keinen besonderen Anlass.«
»Nach Alt -Uppsala? Etwa auf den Friedhof?« Jarik stieß Mikael neckisch mit der Hand gegen die Schulter. »Du bist mir ein schöner Romantiker!«
Mikael beugte sich im Stuhl nach vorne und lehnte die Ellenbogen auf die Tischplatte. »Erstens ist es kein Frie dhof, sondern ein historisches Grabfeld, und zweitens ist die Umgebung einfach traumhaft schön. Und drittens soll die Kirche neben den Hügeln auf dem Fundament eines alten heidnischen Tempels erbaut worden sein. Für mich kann es kaum etwas Romantischeres geben.«
»Grabfeld? Du hast mir nur von den drei Hügelgr äbern erzählt«, empörte sich Sara. »Willst du mir etwa erzählen, ich habe auf alten Gebeinen gesessen?«
Mikael seufzte genervt. »Ich glaube kaum, dass von den Gebeinen noch viel übrig ist. Das Grabfeld stammt aus der Eisenzeit. Die Hügelgräber sind sogar noch viel älter, vermutlich um 550 entstanden. Seit wann stört es dich, auf alten Knochen zu essen? Du gehst doch auch sonst über Leichen.« Er zwinkerte ihr zu.
Amelie rutschte bei der Erwähnung der alten Hügelgräber das Herz in die Hose. Aus irgendeinem Grund weckte deren Erwähnung böse Erinnerungen in ihr, sie konnte sich aber den Grund dafür nicht erklären.
»Wie dem auch sei, ich gehe mir jetzt etwas zu essen kaufen.« Jarik legte einen Geldschein auf den Tisch und schob seinen Stuhl zurück, dessen Füße geräuschvoll auf dem Fliesenboden kratzten. »Kommt du wenigstens mit, Amelie?«
»Nein, ich habe meiner Mutter versprochen, ihr im Geschäft zu helfen.« Sie sah auf die Uhr und erschrak. »Dort hätte ich schon vor fünfzehn Minuten sein müssen.« Hastig kramte sie in ihrem Portemonnaie nach passenden Geldmünzen und drückte sie Sara in die Hand. »Zahlt bitte für mich, ich muss jetzt wirklich gehen.« Sie lächelte unbeholfen und verabschiedete sich steif, ehe sie sich abwandte.
»Ich ruf dich an«, rief Sara ihr noch hinterher, aber Amelie antworte nicht mehr. Sie hatte plötzlich das G efühl, nicht mehr atmen zu können. Die frische Luft tat ihr gut und sie ging schnellen Schrittes durch die Straßen zum Antiquitätengeschäft.
***
Amelie zog sich die Decke enger um die Schultern. Das winzige Feuer im Kamin spendete weder Licht noch
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