Herzen aus Asche
mehr im selben Haushalt?
Amelie las die Unterschrift - Olof Hellström, sehr gut lesbar, ein tadelloses Schriftbild. Sie steckte den Brief zurück und fuhr mit dem nächsten fort. Die Briefe schi enen alle im Abstand von mindestens einem halben Jahr verfasst worden zu sein. Amelie las nicht jeden Satz, aber sie schlussfolgerte, dass Loan bei seinem Vater aufwuchs, während Leif mit seiner Mutter in der Villa geblieben war. Manche Briefe enthielten auch Fotos, eines zeigte Olof Hellström mit seinem Sohn Loan auf dem Schoß, zu diesem Zeitpunkt schätzte Amelie ihn auf fünf Jahre. Wie lange hatten sich die Eltern Briefe geschrieben? Wussten die Zwillinge voneinander?
Amelie nahm den letzten Brief zur Hand, der ganz oben auf dem Stapel gelegen hatte. Wieder enthielt er ein Foto. Ein dunkelrotes Holzhaus mit weißen Fensterra hmen im skandinavischen Baustil. Es hatte einen Anbau mit drei kleineren Fenstern und einer einfachen Holztür, zu der eine kurze Treppe hinauf führte. An der Front des Haupthauses prangte ein Schild, auf dem in schwarzen Lettern auf weißem Grund Almunge Station stand. Darunter befand sich eine grüne Bank, auf der ein etwa zehnjähriger Junge saß. Amelie wendete das Foto. Jemand hatte mit Bleistift Wieder zu Hause! War eine tolle Rundfahrt auf die Rückseite geschrieben.
Der Brief war vollkommen belanglos, ein langweiliger Reisebericht eines Urlaubsausfluges. Doch es war der letzte Brief, als sei der Kontakt danach jäh abgebrochen. Gab es noch andere Geheimfächer in der Villa?
Amelie nahm das jüngste Foto an sich, verstaute den ganzen Rest der Briefe jedoch wieder sorgsam an ihrem Platz und verschloss die steinerne Klappe davor. Sie fühlte sich nicht gut, ihre Augen brannten immer noch vom Weinen und ein schlechtes Gewissen nagte an ihr. Ihre Mutter hatte recht - sie hatte sich verändert, seit sie von zuhause ausgezogen war. Und das vermutlich nicht zum Guten.
Amelie beschloss, für den heutigen Tag genug neue Erkenntnisse gesammelt zu haben und stieg die Leiter hinab in den ersten Stock. Sie achtete darauf, alle Spuren zu beseitigen, die Luke zu verschließen und die Metallstange an ihren alten Platz zu bringen.
Den Rest des Tages wollte sie eigentlich damit verbringen, sich auf das kommende Semester vorzubere iten, welches in drei Wochen starten würde. Sie hatte noch nicht einen einzigen Blick in ihre Bücher geworfen. Doch Amelie fand keine Ruhe. Sie saß in der Bibliothek, ein schweres Buch auf den Knien, und las ein und denselben Satz zehn Mal. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder gingen ihr die Worte ihrer Mutter durch den Kopf, und dann packte sie jäh wieder wie Verzweiflung. Zur Ablenkung betrachtete sie das Foto vom Dachboden, doch auch das bescherte ihr nichts weiter als ein schlechtes Gefühl. Sie schob das Buch von sich weg, ging in ihr Schlafzimmer und legte sich auf ihr Bett.
Sie musste eing eschlafen sein, denn als sie erwachte, ging die Sonne bereits unter. Amelie ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Sie benutzte zwar den alten Kühlschrank, vermied es jedoch, den Gasherd in Betrieb zu nehmen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob er nach so langer Zeit des Nichtgebrauchs überhaupt noch funktionierte. Es genügte, wenn die Möbel zerfielen - eine Gasexplosion gehörte nicht unbedingt zu den Dingen, die den Zustand der Villa verbessern würden. Amelie schmierte sich ein Brot, wie sie es meistens tat, wenn Hunger sie quälte. Sie hatte stark abgenommen in den letzten drei Wochen. Ihre Mutter hatte sie bereits dafür getadelt.
Als sie mit wen ig Begeisterung das Käsebrot hinuntergeschlungen hatte, ging sie ins Wohnzimmer und stapelte frische Holzscheite in den Kamin. Sie legte trockenes Papier darunter und zündete es mit einem Streichholz an. Schnell begannen die Flammen, an den trockenen Scheiten zu lecken.
Amelie überlegte, ob sie ihren Laptop aus dem Schla fzimmer holen sollte. Sie hatte sich in der letzten Woche einen USB-Stick besorgt, der ihr Zugang zum mobilen Internet gewährte, denn es gab in der Villa keinen Telefonanschluss. Doch Amelies Beine erschienen ihr mit einem Mal unsagbar schwer, sie konnte sich nicht dazu aufraffen, vom Sofa aufzustehen. Also genoss sie die Stille um sich herum, einzig durchbrochen vom Knistern des brennenden Holzes.
Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche. Keine neuen Anrufe, keine Nachrichten. Ihre Mutter hatte nicht noch einmal versucht, sie zu erreichen. Vermutlich kochte sie vor Wut. Es
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