Herzen aus Asche
würde Amelie nicht einmal wundern, wenn sie herausfand, wo sich die Villa befand und sie irgen dwann - vielleicht sogar mitten in der Nacht - Sturm klingelte, um ihrer Tochter die Ohren lang zu ziehen. Amelie erschien es beinahe unausweichlich, dass genau dies eines Tages passieren würde. Und schließlich konnte sie ihrer Mutter nicht ewig aus dem Weg gehen. Amelie hatte ihre Geldvorräte beinahe aufgebraucht. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich neben dem Studium eine Arbeit zu suchen, aber die Ereignisse der letzten Wochen hatten sie derart aus der Bahn geworfen, dass sie sich noch nicht einmal mehr vorstellen konnte, je ihrem Alltag auf der Uni wieder nachzugehen.
Allmählich breitete sich wohlige Wärme im Salon aus, das Feuer im Kamin knisterte behaglich. Amelie hatte erst tags zuvor den Boden gefegt, gewischt, und alle Anzeichen paranormaler Einflüsse beseitigt. Mit anderen Worten: sie hatte die Asche zusammengekehrt, die sich beinahe täglich erneut auf den Möbeln und Fußböden im Salon niederschlug. Sie lehnte sich zurück und kuschelte sich in ihre Fleecejacke. Sie hatte sich nach ihrem Besuch auf dem Dachboden noch einmal komplett umgezogen, obwohl es in diesem Haus ein unsinniges Unterfangen war. Zum Glück besaß sie keine weißen Klamotten - die wären mittlerweile vermutlich alle grau geworden.
»Hallo, Amelie.«
Sie fuhr zusammen und drehte so ruckartig den Kopf, dass ihr Genick ein beunruhigendes Geräusch verursachte. »Verdammt, Leif! Musst du mich immer so erschrecken?«
»Irgendwie muss ich mich doch bemerkbar machen.« Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Er lehnte sich lässig an den Türrahmen. Sein dunkelblaues T-Shirt trug den Aufdruck eines lokalen Fussballvereins, in seiner hellen Cargohose wirkte er sportlich. Amelie hatte ihn bislang nur in Hemd und Jackett gesehen. Sie erwischte sich dabei, wie sie ihn von oben bis unten anstarrte. Auch heute trug er die halblangen Haare feucht und zurückg estrichen, sein Dreitagebart hatte etwas ungemein Männliches an sich. Amelies Herzschlag beschleunigte sich. Sie wollte etwas sagen, aber alles, was ihr einfiel, wirkte albern.
Leif kam zum Sofa und setzte sich wie selbstverstän dlich neben sie. Etwas an ihm kam Amelie verändert vor, und es lag nicht bloß an seiner legeren Kleidung. Er machte einen gut gelaunten Eindruck, der Schwermut ihrer letzten Zusammenkunft schien verflogen.
»Ich freue mich, dass du den Kamin so oft nutzt«, sa gte er und sah in die Flammen.
Im ersten Moment war Amelie verwirrt ob seiner sel tsamen Äußerung. »Weshalb?«, fragte sie so beiläufig wie möglich.
»Ich mag Wärme.«
»Es ist Sommer.«
Er wandte ihr den Kopf zu, seine blauen Augen fu nkelten voll Tatendrang. Was verschaffte ihm so gute Laune?
»Dennoch hast du ein behagliches Feuer gemacht. Das freut mich.«
»Ich wusste nicht, dass du einen Sinn für Romantik hast.« Amelie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, doch der Satz war heraus, ehe ihr Gehirn die Gelegenheit bekam, über die Wirkung ihrer Worte nachzudenken. »Abends ist es kühl in der Villa«, fügte sie hastig an, um vom Thema abzulenken.
Leif nickte, einmal und gewichtig. »Ich hasse Kälte. Und Wasser. Am schlimmsten finde ich kaltes Wasser.«
»Du hasst Wasser?« Amelie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Dafür riechst du aber ziemlich gut.« Und wieder so ein Satz, für den sie sich am liebsten geohrfeigt hätte, doch Leif antwortete ihr nur mit einem Augenzwinkern.
Er rückte ein wenig näher zu ihr heran, und Amelie überkam mit einem Mal ein Fluchtinstinkt. Sie spürte förmlich, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er. Zum ersten Mal seit seinem plötzlichen Erscheinen schwand sein Lächeln. »Ich wollte dich nicht verunsichern.« Er hob die Arme vor seine Brust, die Handflächen nach außen, als wollte er ihr damit zeigen, dass er nicht beabsichtigte, ihr zu nahe zu kommen.
»Nein, es ist alles in Ordnung.« Amelie wunderte sich über ihre eigene dünne Stimme. Sie war plötzlich nicht mehr in der Lage dazu, ihm in die Augen zu sehen, ohne vor Scham im Boden zu versinken.
Eine Weile lang schwiegen sie und lauschten den kni sternden Flammen, ehe Leif sich bedeutungsvoll räusperte. »Komme ich ungelegen? Du wirkst unzufrieden seit ein paar Tagen, als würde dich etwas bedrücken.« Als sich ihre Blicke trafen, fügte er an: »Nicht, dass es mich etwas anginge, aber ich möchte nicht die Ursache für dein
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