Herzen aus Asche
wurden. Allmä hlich füllte sich der Raum wieder, denn die Filme für die Spätvorstellung standen an. Es roch nach Hot Dogs und Popcorn. An den Wänden hingen Bildschirme, auf der die in den verschiedenen Sälen gespielten Filme angepriesen wurden. Es war das größte Kino in Uppsala, und es verfügte tatsächlich über drei Leinwände, die die
Größe eines durchschnittlichen Plasmafernsehers überstiegen.
Als Amelie in die frische Abendluft eintauchte, holte sie tief Luft. Erst jetzt bemerkte sie, wie hoch der Lär mpegel im Foyer gewesen war, denn alles, was sie hörte, war das entfernte Rauschen des Verkehrs.
Sara kramte in ihrer knallroten Geldbörse aus Plüsch und förderte ein paar Münzen zutage. Gemeinsam überquerten sie die Straße und steuerten auf den Kiosk zu, der Anbau eines grauen Bungalows, der den Charme einer Garage mit Fenster versprühte. Hinter der Scheibe türmten sich Behälter mit verschiedenen Süßwaren, neben der Durchreiche klebte das Plakat eines Eisherstellers. Auf dem Gehsteig stand ein Aufsteller, der die erste Seite der aktuellen Ausgabe einer Tageszeitung präsentierte. Während Sara an die Scheibe klopfte, um ihr heiß ersehntes Eis zu kaufen, ließ Amelie ihren Blick über die Titelseite schweifen.
Es handelte sich um ein Boulevardblatt, das in großen Buchstaben, die die halbe Seite einnahmen, von einem Drama in der Psychiatrie berichtete. Amelie beugte sich hinab, um auch das Kleingedruckte lesen zu können.
Pfleger der Johannes Klinik für psychosomatische Erkra nkungen nahe Stockholm eiskalt ermordet! Sein Peiniger quälte ihn zu Tode. Sind unsere Krankenhäuser noch sicher? Erfahren sie mehr auf Seite drei.
Amelies Pulsschlag beschleunigte sich. Ein Mord, und noch dazu in unmittelbarer Nähe - allein das schon hätte ausgereicht, um einem durchschnittlich ängstlichen Me nschen Magenschmerzen zu bescheren. Hätte Amelie nicht gewusst, dass Loan Hellström ebenfalls in dieser Klinik gestorben oder sogar ermordet worden sein soll, hätte sie sich womöglich von dem Aufsteller abgewandt und die Titelstory alsbald vergessen. Aber allein die Vorstellung, dass ein Serienkiller seit einigen Jahren sein Unwesen in der Umgebung von Uppsala treiben könnte, veranlasste sie dazu, in ihrer Hosentasche nach dem Restgeld vom Kinobesuch zu kramen und Sara hinterherzustürzen, ehe der Kioskbetreiber die Scheibe wieder schließen konnte.
»Was ist denn in dich gefahren?« Thore stieß ein abfä lliges Lachen aus. »Plötzlich doch Appetit auf ein Eis?«
Amelie ignorierte seine Worte und kaufte sich ein E xemplar der Zeitung. Sara bedachte sie mit einem irritierten Blick.
»Du liest Zeitung? Seit wann?«
»Sie hat sich von der Titelstory über den Killer in der Irrenanstalt dazu verleiten lassen«, sagte Mikael. »Vielleicht hat sie Angst, er könnte heute Nacht unter ihrem Bett liegen.«
Amelie klemmte sich die Zeitung unter den Arm und trat zurück auf den Gehsteig. »Es interessiert mich ei nfach, sonst nichts.«
»Hast du heute noch nicht ferngesehen?« Thore schü ttelte ungläubig den Kopf. »Sie berichten andauernd über den Fall.«
»Ich habe keinen Fernseher in meinem Haus.«
»Ach ja, ich vergaß. Du wohnst ja in einem alten Schuppen. Gibt es dort fließendes Wasser?« Amelie hätte ihrem Cousin am liebsten das dämliche Grinsen aus dem Gesicht gewischt, beherrschte sich jedoch.
»Ich habe auch davon gehört« sagte Sara, während sie ihr Vanilleeis in Schokoladenkruste aus dem Papier w ickelte. »Jemand soll dem Opfer Wasser mit einem Trichter in die Lunge geschüttet haben, bis es erstickt ist. Grausig!«
Amelies Herz setzte für einen Schlag aus. Eine schreckliche Geschichte, und zudem passte sie ins Mu ster. Sie sehnte sich mit einem Mal danach, sich von ihren Freunden zu verabschieden, nach Hause zu gehen und mit Leif darüber zu sprechen.
»Seht mal, Jarik ist auch schon ganz blass«, lachte Thore. Er hatte recht. Er sah tatsächlich nicht aus wie das blühende Leben.
»Ich fühle mich nicht gut. Ich gehe besser nach Hause«, sagte er.
»Es ist ohnehin schon spät. Wir können uns am W ochenende wieder treffen.« Sara leckte sich geschmolzenes Vanilleeis von den Fingern.
»Na dann gute Nacht allerseits«, sagte Mikael, legte einen Arm um seine Freundin und winkte mit der and eren Hand in die Runde. »Und das nächste Mal sehen wir uns einen Film an, den ich aussuche.« Er zwinkerte ihnen zu, bevor er und Sara sich umdrehten und die Straße hinuntergingen.
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