Herzen aus Asche
worauf er hinaus wollte. Amelie würde altern und sterben, und niemand wusste, was nach ihrem Tod mit ihr geschehen würde.
»Was sollen wir jetzt machen?« Amelies Blick verschleierte sich, denn erneut bildeten sich Tränen in ihren Augenwinkeln.
»Ich weiß es nicht.« Seine Stimme brach. »Ich habe mir monatelang gewünscht, endlich Frieden zu finden. Das Dasein als Geist erschien mir wie eine Strafe, das friedvolle Jenseits wie Hohn. Ich kann nicht wieder l ebendig werden, aber sterben kann ich auch nicht. Seit ich dich kenne, wanke ich sogar in meinem Wunsch, das Geistsein aufgeben zu wollen.« Er machte eine Pause und atmete einmal tief ein. »Wir können nicht zusammen sein.«
Amelie wuchtete ihren Oberkörper auf und stützte sich auf die Ellenbogen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Eine Träne tropfte auf seine Brust. »Ich kann dich nicht einfach so vergessen.«
Er strich ihr eine Harrsträhne hinter das Ohr. »Lass uns darüber nicht sprechen. Wir zerstören den Augenblick.« Er sah sich um. »Das halbe Wohnzimmer ist zerfallen, weil es mich viel Kraft gekostet hat, unser Tête-à-tête durchzuziehen.« Er lächelte verschmitzt, und Amelie kam nicht umher, es zu erwidern.
Ihr Blick fiel a uf die Innenseite seines linken Oberarms. Ein Zeichen, etwa von der Länge ihres kleinen Fingers, fiel ihr ins Auge. Eine Tätowierung? Das Symbol erinnerte sie schlagartig wieder an die schrecklichen Erlebnisse der letzten Tage, denn es ähnelte den Runen in Olof Hellströms Badezimmer frappierend. Es sah aus wie ein stilisierter Krähenfuß, ein Längstrich, von dessen oberem Drittel aus zwei kürzere Striche schräg nach oben abzweigten.
»Was ist das?«
Leif folgte ihrem Blick. »Das? Ein Mal, das ich trage, seit ich gestorben bin.«
»Hat es eine Bedeutung?«
»Als ich nach meinem Tod neben meiner Leiche erwacht bin - zugegeben, eine seltsame Vorstellung - habe ich es zum ersten Mal bemerkt. Anfangs wusste ich nichts darüber, habe mittlerweile aber herausfinden können, was es damit auf sich hat. Es kennzeichnet mich als Draug, als Wiedergänger. Es ist eine alte Wikingerrune, sie nennt sich Algiz . Sie symbolisiert das Leben und die Auferstehung. Zeichnet man sie umgekehrt, steht sie für den Tod. Angeblich verwenden Esoteriker die Rune, um mit nichtmenschlichen Wesen zu kommunizieren. Welch Ironie, dass sie ausgerechnet dem Sternzeichen Zwilling zugeordnet wurde.«
Das Stichwort erinnerte Amelie augenblicklich wieder daran, was sie erst vor wenigen Stunden herausgefunden hatte.
»Ich habe einiges über deinen Zwilling in Erfahrung bringen können«, sagte sie. Auf Leifs Gesicht breitete sich ein Anflug des Schreckens aus, den er beim letzten Mal, als Amelie Loan erwähnt hatte, schon gezeigt hatte. Damals war er Hals über Kopf verschwunden. Es bereitete ihr Kummer, ihn wieder damit konfrontieren zu müssen.
»So? Und was hast du herausgefunden?« Er bemühte sich, gefasst zu klingen. Er schluckte hörbar und richtete seinen nackten Oberkörper auf. Er machte eine hastige Bewegung mit der Hand, und im nächsten Moment trug er wieder sein weißes Hemd und die dunkle Hose. Am elie starrte ihn einen Moment lang verdutzt an, sagte aber nichts. Sie griff nach ihrem Slip, der Jogginghose und dem Sweatshirt und streifte sich die Kleidungsstücke über.
»Ich habe lange angenommen, Loan sei der Mörder eurer leiblichen Eltern g ewesen.«
Sie erzählte Leif die Geschichte von ihrem grausigen Fund in Almunge, von den Runen an der Wand und auch von ihrem Besuch im ehemaligen Kinderheim von Uppsala. Leif hörte ihr aufmerksam zu, wirkte aber ne rvös. Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich, und sein Blick wirkte glasig.
»Kurz, bevor du hier aufgetaucht bist, habe ich aus dem Internet erfahren, dass Loan in einer psychiatrischen Anstalt gestorben ist - ertrunken in einem Wassertank. Bislang deutete alles auf einen Racheakt hin, aber er ist tot. Ich weiß nicht, ob die Indizien ausreichen, um zu schlussfolgern, dass Loan dafür verantwortlich war. Vie lleicht haben wir es mit einem Serienkiller zu tun und verdächtigen ihn zu Unrecht. Du bist auch ertrunken: Kannst du dich an Einzelheiten erinnern? Hat dich jemand ermordet?«
»Ich kann mich an die Umstände meines Todes abs olut nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass meine Mutter mich zu dem Trip nach Torekov überredet hatte. Hätte ich doch nie auf sie gehört! Ich habe lange geglaubt, mein Ableben hätte sie in den Selbstmord getrieben ...«
» Wäre
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