Herzen aus Asche
Länna hinaus.
Es war noch nicht vollständig dunkel, im Sommer ging die skandinavische Sonne erst sehr spät unter. De nnoch leuchteten schon jetzt hunderte Sterne am Firmament. Eine laue Brise strich Amelie durch die Haare, als sie auf den Pfad zur Villa einbog. Hier gab es keine Straßenlaternen, weshalb sie die Taschenlampe einschaltete, die sie seit ihrem Einzug immer in der Handtasche trug. Sie ging so schnell, wie sie es sich erlauben konnte, ohne über Steine oder Wurzeln zu stolpern, denn der Weg wurde von niemandem gepflegt oder von Unkraut befreit. Ein Anflug von Unbehagen streifte Amelie. Es war die Urangst des Menschen, allein im Dunkeln draußen zu sein. Der Lichtschein ihrer Taschenlampe reichte kaum zwei Meter weit, und die bedrohlichen Schatten aus dem Unterholz rechts und links des Weges schienen sie aus schwarzen Augen anzustarren wie Augen. Seltsam, dass sie sich ausgerechnet in einer Gegend am unsichersten fühlte, in der es mehr als unwahrscheinlich war, dass eine andere Menschenseele sich hierher verirrt hatte. Es war wahrscheinlicher, auf offener Straße überfallen zu werden als in einem vollkommen einsamen Waldstück. Wer sollte hier auf ein Opfer lauern?
Amelie schluckte ihre Angst hinunter und ging unb eirrt weiter. Ihr fiel auf, dass sich Reifenspuren in die Erde am Rand des schmalen Wegs gegraben hatten. Mikael hatte sie nach Saras Party doch nur bis zur Hauptstraße gebracht!? Oder waren es noch die alten Spuren, als ihre Freunde ihr beim Umzug geholfen hatten? Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus.
Als die Villa hinter einer Biegung auftauchte, sah sie einen hellen Lichtkegel. Reflexartig schaltete sie die T aschenlampe ab. Zwei Autoscheinwerfer, eindeutig. Ihr Herz hämmerte kräftig und ihre Beine zitterten. Wer war das? Die Polizei? Hatte man Olof Hellströms Leiche nun doch gefunden? Amelie rang mit der Verzweiflung. Sollte sie umkehren und wegrennen? Wenn sie sich Zugang zum Haus verschafft hatten, würden sie ohnehin erfahren, wer sie war und wo ihre Mutter wohnte. All ihre Unterlagen befanden sich in ihrem Schlafzimmer. Oder waren es Einbrecher? In diesem Fall wäre es das Klügste, sich zu verstecken und einfach abzuwarten. Sie würden schnell merken, dass es außer einem Laptop absolut nichts zu stehlen gab.
Amelie verließ den Pfad und schlich hinter einem H olundergebüsch her auf das Auto zu. Sie gab sich Mühe, keine Geräusche zu verursachen, trat jedoch bei jedem Schritt auf Laub und Äste. Das Knacken durchschnitt die Stille wie ein Peitschenhieb.
Das Auto, ein roter Kleinwagen, parkte vor dem Zaun, der den Vorgarten umgab. Amelie kam das Fah rzeug bekannt vor, und als sie das Nummernschild erkennen konnte, durchflutete sie zugleich Erleichterung und Entsetzen. Es handelte sich um das Auto von Sofia Elvard, der Mutter von Amelies ehemaliger Mitbewohnerin Marie. Jemand saß hinter dem Steuer, auch wenn Amelie die Umrisse der Gestalt nur schemenhaft erkennen konnte. Sie rang mehrere Minuten lang mit sich, was sie tun sollte. Sich zu erkennen geben und so zu tun, als sei nichts gewesen? Oder im Gebüsch ausharren, bis die Person aufgab und nach Hause fuhr?
Amelie fiel die Erkenntnis wie Schuppen von den A ugen. Sofia würde Amelie sicherlich nicht besuchen kommen, und erst recht nicht nach zweiundzwanzig Uhr. Amelies Mutter hingegen lieh sich das Auto ihrer besten Freundin des Öfteren, wenn sie weitere Wege zurücklegen musste. Amelie schluckte. Sie hatte sich noch immer nicht bei ihrer Mutter gemeldet, seit sie im Streit das Telefongespräch beendet hatte. Ein Donnerwetter würde auf sie warten.
Amelie straffte sich und trat aus dem Gebüsch hervor. Es war unumgänglich, dass sie Inger Ivarsson irgen dwann gegenübertreten musste. Weshalb nicht jetzt?
Erst. als Amelie direkt vor das Auto trat, schien ihre Mutter sie zu bemerken, denn sie sah, wie die Person hinter dem Steuer zusammenzuckte, als hätte sie sich erschreckt. Einen Herzschlag später öffnete sich die A utotür.
Amelie versuchte angestrengt, den Gesichtsausdruck ihrer Mutter zu deuten, doch sie verzog keine Miene. Sie trug einen weiten blauen Strickpullover, der nach vielen Waschgängen blass und noppig geworden war. Inger Ivarsson hielt nichts von schicken Kleidern und Make Up, und Amelie hatte diese Dinge auch erst für sich en tdeckt, seit sie von zuhause ausgezogen war. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, ihre Mutter hätte mit der Männerwelt abgeschlossen und sah keinen Grund,
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