Herzen aus Asche
anlächelte. Seine Erscheinung leuchtete hell vor dem pechschwarzen Hintergrund ihrer Umgebung.
Amelie sah nach unten. Es schien, als liefe sie auf fe stem glattem Boden, doch außer Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Das Hochgefühl der Befreiung hatte nicht nachgelassen, und trotz der Trostlosigkeit dieser Welt kam ihr der Gedanke, für immer hier zu bleiben, nicht allzu schlecht vor. Kein Leid, kein Schmerz. Nur Vollkommenheit.
»Wie willst du Sjadvir hier finden?« Aus irgendeinem Grund hatte Amelie erwartet, ihre Stimme würde in di eser unendlichen Weite ein Echo finden, doch sie klang, als stünde sie in einem kleinen Raum, völlig ohne Widerhall.
Leif, der noch immer ihre Hand fest umklammert e, als wäre sie ein kleines Kind, mit dem man über die Straße ging, zögerte einen Moment mit der Antwort. »Er war der erste, den ich kennenlernte, nachdem ich gestorben bin«, sagte er leise, als fürchtete er, jemand könnte ihn belauschen. »Er wollte mir meinen Platz im Jenseits zeigen, aber ich habe mich von ihm losgerissen. Seitdem ist er nicht gut auf mich zu sprechen. Er hegt keine großen Sympathien für die Draugar.«
»Weshalb?«
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht, weil er selbst keiner ist. Wer weiß das schon. Der Tod trachtet stets nach dem Leben, und die wenigsten können dahin zurückkehren, so wie ich. Man verachtet die Draugar in der Zwischenwelt. Möglich, das es nur der Neid ist, der aus ihnen spricht.«
Er tat einen Schritt nach vorn, und Amelie folgte ihm bereitwillig. Die Lichter waren alle von unterschiedlicher Größe und Intensität, als bildeten sie einen dreidimens ionalen Raum, in dem einige näher und andere weiter entfernt waren. Manche bewegten sich, tanzten umeinander herum, andere blieben starr.
»Ich finde zu Sjadvir, egal wo er sich aufhält«, fuhr Leif fort. »Es ist, als folgte ich einem inneren Kompass, wie die Zugvögel, die auch über tausende Ki lometer hinweg stets den Heimweg finden. In der Zwischenwelt ist alles miteinander vernetzt und verwoben, ich bin mir der Anwesenheit anderer Seelen stets bewusst. Man muss nur einen dieser seidenen Fäden aufnehmen und ihn zu seinem Ursprung zurückverfolgen.«
Amelie nickte, obwohl sie seine Erklärung nicht nac hvollziehen konnte. Sie gingen eine Weile lang schweigend nebeneinander her. Sie hatte das Zeitgefühl verloren, denn Zeit war etwas, das an diesem Ort keine Bedeutung zu haben schien. Es könnten Sekunden oder Jahre vergangen sein, das konnte Amelie nicht mit Sicherheit beurteilen. Irgendwann wurde eines der Lichter größer, und Amelie bemerkte, dass sie zielstrebig darauf zugingen. Es zählte zu denjenigen, die sich nicht bewegten und einen festen Platz auf dem Firmament einnahmen.
Das Licht wurde heller und heller, und Amelie wusste nicht mehr, ob es sich ihnen näherte oder ob sie sich immer schneller darauf zu bewegten. Irgendwann blend ete es sie in den Augen, und gerade, als sie die Hände vors Gesicht schlagen wollte, änderte sich ihre Umgebung mit einem Donnerschlag. Das Licht war verschwunden, stattdessen stand sie mit Leif an einem rauen, stürmischen Ort. Derbes Gras peitschte um ihre Knöchel, und über ihren Köpfen erstreckte sich ein dunkelgrauer Himmel, über den unheilvolle Wolkenfetzen zogen. Sie sah nach unten. Direkt vor ihren Füßen ging es steil bergab. Ein zerklüfteter Abgrund lag vor ihnen, weit unten toste das aufgewühlte Meer und warf sich gegen die Klippen. Die Luft roch salzig.
»Wo sind wir?« Ihre Stimme wurde vom Heulen des Windes beinahe verschluckt.
»Das ist das Jenseits, wie Sjadvir es sich erschaffen hat. Es ist eine Art Traum, in den wir eingetaucht sind. Sein Traum.«
»Man kann das Jenseits selbst gestalten? Dann ist es also gar nicht schwarz?«
Leif schüttelte den Kopf und seine dunklen Haare peitschten ihm dabei ins Gesicht. »Die meisten Seelen richten es sich nett ein. Ich für meinen Teil war nie in der Lage dazu, meine eigene Realität zu erschaffen.« Ein Hauch von Wehmut lag in seinen Worten.
»Das hier nennt Sjadvir nett? Ich könnte mir kaum einen trostloseren Ort vorstellen.« Amelie drehte sich um und schickte ihren Blick auf Wanderschaft. Dünen erhoben sich hinter der Küste, außer derben Grashalmen gab es keine Vegetation. Bis zum Horizont sah sie nichts außer wildes raues Land. Bis auf einen kleinen Punkt in weiter Ferne, den sie als Haus identifizierte, aber auch nur deshalb, weil sich Rauch von dort aus in den Himmel schraubte und vom
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