Herzen aus Asche
lächeln. »Danke«, flü sterte sie. »Du rettest meinen Tag.«
Leif beugte sich zu ihr hinab und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. Als er sich von ihr löste, seufzte er schwermütig. »Was machen wir jetzt?«
»Ich werde morgen zu der Kirche bei den Hügelgräbern fahren. Vielleicht kann ich dort etwas herausfinden.«
»Ach Amelie, es schmerzt mich, dir diese Bürde aufe rlegen zu müssen. Immerhin wühlst du in meiner hässlichen Familiengeschichte herum. Die Sorge um dich treibt mich in den Wahnsinn. Ich würde dir gerne sagen, dass du es dabei belassen sollst, aber ich kann dir nicht garantieren, dass Loan dich in Ruhe lässt. Wenn es in meiner Macht stünde, würde ich es dir gerne abnehmen, aber das kann ich nicht.«
»Kannst du mich morgen nicht begleiten?« Amelie wusste, dass sie sich wie ein naives Kind anhörte. Sie kannte die Antwort.
»Ich kann dieses Haus nicht verlassen, Amelie. Das weißt du doch. Sobald ich mich weiter als zwei Meter davon entferne, reißt es mich in die Zwischenwelt zurück. Mir sind die Hände gebunden.«
Amelie setzte sich auf und schmiegte ihren Oberkö rper gegen seine Brust. »Weißt du, wohin ich gerne mit dir gehen würde?«
»Nein, wohin?«
»An einen Traumstrand in der Karibik. Einen mit zwei Palmen, deren Stämme sich zueinander neigen wie ein Herz. Ich würde mit dir durch den Sand spazieren, Hand in Hand. Das Wasser der Brandung würde um unsere Knöchel spülen. Wir würden uns ein Haus dort bauen, und für immer zusammen bleiben.«
»Ach, Amelie.« Seine Stimme klang erstickt von Tr änen. Er sagte nichts mehr, sondern legte seine Arme um sie und wiegte sie vor und zurück.
Sie saßen schweigend auf dem Bett, bis die Sonne vollständig untergegangen war und Dunkelheit das Zi mmer erfüllte. Amelie überfiel eine bleierne Müdigkeit, gegen die sie kaum anzukämpfen imstande war.
Leif schob seine Hände unter ihr Shirt, und er stre ichelte ihren Rücken und die Taille. Seine Berührungen spendeten Trost. Nie zuvor hatte sie jemanden so sehr geliebt. Sie bedauerte es bis in die Tiefen ihrer Seele, niemals mit ihm lachend über eine bunte Frühlingswiese laufen zu können, ins Kino zu gehen, in einem Straßencafé zu sitzen oder all die Dinge zu tun, die andere Paare als selbstverständlich erachteten. Sie waren Gefangene in diesem verfluchten Haus. Ein Haus, das mittlerweile nicht einmal mehr ansehnlich war. Dreckig, staubig, und hoffnungslos dem Verfall ausgeliefert. Amelie machte sich nicht einmal mehr die Mühe, die Asche zusammenzukehren. Schon bald würde nichts mehr übrigbleiben als die nackten Wände, und wer konnte sagen, ob die nicht auch noch einstürzen würden. Leif schaufelte sich sein eigenes Grab in der Zwischenwelt. Je öfter er mit Amelie zusammen war, desto näher kam er dem Punkt, an dem er für immer Abschied würde nehmen müssen. Mit der Villa müsste auch er gehen. Dann würde er so enden wie Jacob Conolly, heimatlos und gefangen in ewiger Dunkelheit.
Amelie kam ein Gedanke. »Leif?« sie räusperte sich, denn ihre Stimme war vom langen Schweigen belegt.
»Ja?« Er flüsterte in die Stille hinein, sein Atem streifte ihre Kopfhaut.
»Hast du schon einmal darüber nachgedacht, die B eschwörungsformel der alten Wikinger für uns anzuwenden?«
Eine Weile lang sagte er nichts, als müsste er nac hdenken. Dann seufzte er. »Doch, das habe ich. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass niemand mit Gewissheit sagen kann, ob die Formel den Nährer unsterblich macht, halte ich das für äußerst gefährlich. Nach allem, was du mir erzählt hast, war die Formel Odin vorbehalten, und wir sehen nun, wohin es führen kann, wenn der Anwender nicht mit der Macht umgehen kann, die ihm gegeben wird.«
Amelie hob den Kopf, obwohl sie in der Dunkelheit noch nicht einmal seine Augen sehen konnte. »Aber Leif, im Gegensatz zu Loan bist du nicht verrückt! Du wü rdest deine Position als Geist doch nicht ausnutzen, oder?«
»Nein, natürlich nicht.« Er drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. »Lass uns nicht mehr darüber diskutieren. Es sind nur Spekulationen, und wir tun uns nur selbst damit weh.«
Amelie nickte und lehnte sich wieder an seine Schulter. Der Schlaf griff mit unnachgiebigen Klauen nach ihr.
***
Als sie erwachte, war Leif verschwunden. Blasses graues Dämmerlicht erfüllte das Zimmer, vor dem Fenster liefe rten sich zwei Vögel des angrenzendes Waldes ein lautstarkes Duell. Leif hatte Amelie zugedeckt, bevor er gegangen
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