Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
Kanakammal konnte seinen angestrengten Atem hören.
»Ich habe dir etwas zu essen gemacht.«
»Nur schwarzen Kaffee«, nuschelte er.
Sie goss ihm eine Tasse ein und glitt geräuschlos auf den Stuhl ihm gegenüber. Dann sagte sie etwas auf Tamil zu ihm.
Er runzelte die Stirn. »Was soll das?«
»Es war leichter für mich, es in meiner Muttersprache zu formulieren. Da kann ich mich besser ausdrücken.«
»Und was hast du gesagt?«
»Wie leid mir das mit deinem Vater tut.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wir müssen alle einmal sterben.«
Ihr wurde bewusst, dass er wieder seinen Panzer angelegt hatte.
»Es ist richtig zu trauern.«
»Mein Vater hätte bestimmt nicht gewollt, dass ich meine Zeit damit verschwende, um ihn zu trauern.« Er sprach langsam, als müsse er sich angestrengt auf jedes einzelne seiner Worte konzentrieren. »Ich weiß noch, als damals unser Hund Rosie starb. Da war ich sieben Jahre alt. Ich habe die ganze Nacht geweint. Schließlich wurde mein Vater böse auf mich. Rosie gehörte ihm, und er hat diesen Hund wirklich geliebt, aber er sagte, ihr Leben sei nun einmal vorbei, es hätte deshalb keinen Sinn, ein großes Theater zu machen. Sie hätte gewusst, dass sie geliebt wurde, und das ganze Geheule hinterher würde ihr auch nichts nützen.«
»Das ist ein weiser Rat«, sagte Kanakammal vorsichtig.
»Ja, die alte Rosie wusste, dass sie geliebt wurde. Aber hat auch mein Vater gewusst, dass er geliebt wurde? Schließlich habe ich es ihm nie gezeigt.«
»Er wusste es.«
»Woher denn, verdammt?«, stöhnte Jack und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Woher sollte er das denn wissen?«
»Dein Kummer sagt mir, dass du ihn geliebt hast. Ich bin sicher, er hat es gewusst.«
Jack schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich habe als Sohn nichts getaugt. So wie es aussieht, hat meine Mutter meinen Vater schon begraben. Offensichtlich war sie der Auffassung, es lohne sich nicht, auf mich zu warten.«
»Trink deinen Kaffee. Vielleicht hatte deine Mutter das Gefühl, es sei besser, wenn du nicht nur wegen einer Beerdigung nach Hause kommst.«
Er leerte die Tasse, ging aber nicht auf ihre Worte ein.
Kanakammal schenkte ihm noch einmal nach.
»Hast du etwas von den Sinclairs gehört? Von Iris?«, wollte er wissen.
»Als Mrs. Walker eintraf, bin ich gegangen.«
»Zum Teufel mit Ned und seiner verdammten Eifersucht.« Er stand auf, musste sich dabei jedoch am Tisch festhalten. Kanakammal erhob sich ebenfalls.
»Mach kein Theater, Frau. Ich gehe zur Arbeit.«
»Ist das wirklich klug? Du trauerst. Und Ned?«
»Ned ist ein Dummkopf. Und mein Vater ist tot. Ich kann keinem von beiden helfen.« Grimmig trat er in den Flur hinaus und setzte sich seine Arbeitsmütze auf. Dann warf er Kanakammal einen letzten, gehetzten Blick zu und war verschwunden.
Kanakammal eilte auf die Veranda hinaus. Jack stürmte bereits die Straße hinunter. Sie starrte über die hügelige Landschaft hinüber zur Top-Reef-Mine. Von hier aus konnte sie das große Schwungrad und den Förderturm sehen, der einsam vor dem dunkler werdenden Himmel aufragte. Sie blickte ihrem Mann nach und legte sich eine Hand auf den Bauch. Es war unmöglich, dennoch hätte sie schwören können, dass sie ein leises Weinen hörte. Kanakammal war überzeugt, dass sie ihrem Mann einen Sohn schenken würde, und sie weinte zusammen mit ihrem Sohn um den Vater und um den Ehemann, der gerade von ihnen fortging.
44
In dem extrem großen Büro zählte eine Uhr mit ihrem trübsinnigen Ticken die Stunden. Halbhohe Regale aus dunklem Holz zogen sich an drei Wänden entlang. Darauf standen neben Auszeichnungen, Pokalen und Büchern auch Fotos des Mannes, der hinter dem riesigen, mit Leder belegten Schreibtisch in der Mitte des Raumes saß. Sie zeigten ihn mit bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. An den Wänden hingen die Bilder der ehemaligen Chefinspektoren. Der Mann freute sich schon jetzt auf den Tag, an dem sein Nachfolger an diesem Schreibtisch sitzen und auf sein Foto blicken würde, das ihn stirnrunzelnd von oben herab anblickte. Chefinspektor Dravid von der indischen Polizei in Bangalore rührte braunen Zucker in seinen Tee und musterte Margaret Brent, die vor ihm saß, nachdenklich. Der Tee schäumte leicht, denn sein Adjutant hatte ihn gerade aus größerer Höhe eingeschenkt, damit er ein wenig abkühlte.
»Die indische Methode«, erklärte der Chefinspektor.
»Wie merkwürdig«, sagte Mrs. Brent ein wenig herablassend,
Weitere Kostenlose Bücher