Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
Europäer dort unten sind vor allem englische Sträflinge, das sollte man auf keinen Fall vergessen. Wir sprechen hier von Dieben und Mördern! Und das wären dann deine Arbeitskollegen, Jack. Kerle, die dir für einen Laib Brot ohne Weiteres die Kehle durchschneiden würden«, hatte H enry betont, wobei seine Stimme bei der dramatischen Sze nerie, die er so lebhaft schilderte, immer mehr anschwoll. »Nein, das Leben in Australien ist zu hart, und es ist nicht leicht, dort Geld zu verdienen. Dieses Land hat noch einen langen Weg vor sich, bevor es einem auch nur ansatzweise das zivilisierte Leben von Britisch-Indien bieten kann.«
Jack wusste, dass er sich von den Worten eines einzigen Mannes nicht beeinflussen lassen sollte. »Du findest also, ich sollte stattdessen nach Indien gehen?«
»Du wärst verrückt, wenn du es nicht tätest, alter Knabe«, erwiderte Henry, der auf seinem Bett lag und, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, an die Decke starrte. Jack hatte auf dem gegenüberliegenden Bett dieselbe Haltung eingenommen und genoss das Rollen des Schiffes und das Stöhnen der Maschine.
Henry drehte sich zu ihm um und stützte sich auf einen Ellbogen. »Ganz unten im Süden liegt ein Ort namens Kolar Gold Fields. Dort gibt es sieben Minen, und jede davon hat eine eigene blühende Ausländergemeinde. Ich war einmal vor Ort, um ein paar Dinge für die Regierung zu regeln, und ich konnte es kaum glauben, als ich sah, was für ein wunderbares Leben sie dort unten im indischen Busch führen. Die Clubs sind hervorragend, es wird nahezu jede Nacht gefeiert, und es werden Picknicks und Tanzveranstaltungen organisiert. Und erst die Frauen, Jack! Prächtige Mädchen. Hast du schon einmal von den Anglo-Indern gehört?«
Jetzt drehte sich Jack ganz zu Henry um. Obwohl er sich fest vorgenommen hatte, sich wenigstens eine Zeit lang vom weiblichen Geschlecht fernzuhalten, war sein Interesse auf der Stelle geweckt.
»Die Anglo-Inder sind eine Bevölkerungsgruppe, die aus Mischehen zwischen Engländern und Einheimischen entstanden ist. Bedauerlicherweise stellen die dunkelhäutigen männlic hen Nachkommen, die aus diesen Ehen hervorgegangen sind , uns blasse, teigige Engländer mit ihrem guten Aussehen einfach in den Schatten … aber die Frauen.« Henry seufzte. »Diese Mädchen sehen nicht nur sehr exotisch aus, sie besitzen auch den Charme und die Umgangsformen englischer Ladys …«
Jack grinste. »Wie kann es dann sein, dass du noch keine dieser exotischen Schönheiten geheiratet hast, Henry?«
»Schau mich doch an, Jack. Wenn auch mein Status und meine Stellung für einige von ihnen durchaus reizvoll sein mögen, so sind diese Mädchen doch nicht besonders darauf bedacht, ihre Familien zu verlassen und im fernen Bombay zu leben. Tja, London«, sagte er mit einer ausladenden Geste. »Das wäre natürlich etwas ganz anderes! Die Anglo-Inder sind britischer als wir selbst. Sie sprechen von England, als wäre es ihre Heimat, dennoch kennen es die meisten nur aus Zeitschriften und von dem, was ihre Väter ihnen erzählt haben.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet, Henry.«
Henry ließ sich niedergeschlagen aufs Bett zurückfallen. »Ich habe bei Frauen einfach kein Glück, Jack. Mein Tick verschlimmert sich in ihrer Gegenwart sogar noch. Aber eines kann ich dir sagen: Um dich werden sie sich reißen. Vermutlich hattest du schon Hunderte!«, fügte er mit unverhohlenem Neid in der Stimme hinzu.
Jack lachte laut und kehrte wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Und in diesen Minen gibt es reichlich Arbeit?«
»Es werden dringend gute Leute gebraucht. Man hat mich sogar gebeten, einen Bericht vorzubereiten, den Taylor & Söhne noch in diesem Jahr für eine Werbekampagne verwenden wollen.«
»Dem letzten Brief meines Vaters zufolge haben sie in Cornwall schon damit begonnen.«
»Darauf kannst du wetten, alter Knabe. Sieben Minen – sogar eine Eisenbahn – aber keine mit Dampflokomotive … nein, sie ist bereits elektrifiziert. Deshalb floriert auch alles. Die europäische Gemeinde explodiert dort geradezu.«
»Klingt, als würdest du selbst gern dort leben, Henry.«
Henry seufzte. »Das würde ich tatsächlich. Es ist ein wundervoller Ort. Die Leute sind fast vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, so dass es einem manchmal vorkommt, als lebte man in einem kleinen englischen Dorf. Bombay ist manchmal so … nun, so unglaublich verrückt. Aber ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich Bombay
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