Herzen aus Stein (German Edition)
Energieblitz in der Hand erscheinen lassen, mit dem er seine Fesseln hätte durchschneiden können.
Wo war er überhaupt? Warmer Wind pfiff um das Felsmassiv, vor das sie ihn angebunden hatten. Gnadenlos schien die Sonne auf se i nen nackten Leib. Staub wehte ihm in die Augen, blieb an seinem blutüberströmten Rücken kleben und brannte in seinen Wunden. Die Schmerzen waren immer noch so stark, dass er gegen eine e r neute Ohnmacht ankämpfen musste. Ihm war übel, seine Obe r schenkel zitterten heftig. Ashriel erkannte verschwommen eine Hö h le, die wie ein großes schwarzes Loch direkt vor ihm lag. Das musste der Berg Nebo sein.
Mit wild pochendem Herzen sah er zur Seite. Um ihn herum e r streckte sich eine endlose Geröllwüste. Er hatte von diesem Berg gehört, wusste, was es bedeutete, hier angebunden zu sein. Er befand sich in Jordanien. Es war ein uralter Opferplatz, ein Übergabeort. Der Eingang zur Hölle.
Trotz Hitze lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken. Alle dreihundert Jahre forderte der Friedenspakt zwischen Gut und Böse einen gefallenen Engel plus seiner Seele. Nur deshalb ließen sich die Dämonen vor vielen Jahrhunderten auf den Pakt ein. Dafür blieben sie weitgehend in der Unterwelt und versuchten nicht mehr veh e ment, Menschen und andere Wesen zu unterjochen. Der gefallene Engel musste dann einem Höllenfürsten dienen und ihm seine Seele geben. Die unverwüstliche Seele eines Engels spendete dem Dämon für lange Zeit Kraft, sodass dadurch viele Leben gerettet werden konnten.
Ashriel schnappte nach Luft. Er konnte nicht begreifen, dass sie ihn geopfert hatten, ihn, einen so mächtigen Herrscher.
Er hörte Geräusche hinter sich und drehte den Kopf. Gabriel und Michael erhoben sich in die Lüfte und wurden unsichtbar. Nur R a phael war geblieben. Ashriel hatte nicht bemerkt, dass sie hinter ihm gestanden hatten.
Langsam schritt der Erzengel an seine Seite, ohne ihn anzusehen. Er war bestimmt noch hier, um ihn sämtlicher Gedanken zu bera u ben. Ashriel durfte auf keinen Fall Wissen mit in die Unterwelt ne h men, das den Engeln schaden könnte. Bald war er keiner mehr von ihnen. Wie die Jungfrau, die einem Drachen geopfert wurde, kam er sich vor. Er war ein wehrloses, unschuldiges Opfer. Eben noch ein stolzer Herrscher und im nächsten Moment ein Nichts.
Sein Zorn flammte erneut auf, heftiger als zuvor. Zudem kehrte seine Angst zurück, denn nun war er nicht nur machtlos. Er hatte alles verloren. Alles! Sein Reich, sein Ansehen, seinen Stolz, seine Kräfte, seine Flügel … und das zuckersüße, frivole Leben, das er so sehr liebte.
„ Wir werden dir nicht alle Erinnerungen an dein Dasein nehmen, weil wir beschlossen haben, dass du noch eine Chance verdient hast “ , sagte Raphael dicht neben ihm.
Eine Chance?
„ Aber zuerst musst du Buße tun. “
„ Wie lange wird das dauern? “ , krächzte Ashriel. Durch das viele Schreien besaß er kaum noch seine Stimme.
„ Bis du geläutert bist. Du darfst zurück, wenn du deine Lektion g e lernt und dich bewiesen hast. “
„ Aber warum geht ihr so ein großes Risiko ein und lasst mir Wi s sen? Was, wenn ich euch verrate? “
„ Uriel hat das entschieden. Auch mir gefällt die Vorstellung nicht, aber an seiner Entscheidung gibt es nichts zu rütteln. “
„ Oh ja, wie pflichtbewusst “ , knurrte Ashriel. Frustriert zog er an den Fesseln. „ Wer wird solange mein Reich regieren? “
„ Das werde ich übernehmen. “
„ Du? “ Ashriels Wut kannte keine Grenzen. Wie ein Feuerball brannte sie in seinem Magen. „ Jetzt verstehe ich. Du steckst also dahinter! Deshalb hast du mich nicht gewarnt! “
„ Das glaubst du wirklich? “ Raphael schüttelte den Kopf. „ Wie oft gab ich dir versteckte Hinweise, aber du hattest nur Augen für deine Nymphen. “
„ Raphael! “ Er hatte stets das Gefühl gehabt, dass Raphael froh gewesen war, seinen Verpflichtungen einmal zu entfliehen und es in seiner Burg genossen hatte, auch von den Nymphen verwöhnt zu werden. „ Du Heuchler! “
Raphael sah nicht glücklich aus. „ Eines Tages wirst du alles verst e hen. “
„ Was gibt es da zu verstehen? Du hast das eingefädelt, um an me i ner statt Herrscher zu werden! “ Ashriel glaubte, jetzt würde auch noch sein Herz herausgeschnitten werden, allerdings mit einer stumpfen Klinge.
Raphael legte eine Hand auf seine schweißnasse Stirn. Er konnte nicht sagen, welcher Erinnerungen der Erzengel ihn beraubte, weil Ashriel sie
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