Herzen im Feuer
sehr zaghaft auf seine Frage: »Es war eine Tragödie. Ein vollkommen unsinniger Unfall. Er fiel vom Deich und stürzte in den Fluß. Er ertrank, Nicholas. Jede Hilfe kam zu spät. Als man ihn fand, war er schon ein gutes Stück von Beaumarais abgetrieben. Ein Fischer ent- deckte seine Leiche am Flußufer.«
»Mein Gott!« stöhnte Nicholas.
Mara beobachtete ihn schweigend. Sie wünschte, sie könnte ihn trösten. Sie hatte Nicholas wutentbrannt gesehen, auch unbekümmert wie einen kleinen Jungen, sarkastisch, grausam und sinnlich, aber noch nie so verletzlich und bedrückt.
»Ich verstehe das nicht«, wandte Nicholas ein. »Er war ein ausge- zeichneter Schwimmer. Er hat oft lange Strecken zurückgelegt. Er war kräftig und kannte diesen Deich in- und auswendig. Er würde nicht einfach ins Wasser fallen.«
Françoise schüttelte traurig den Kopf. »Nicholas, er war nicht mehr der Mann, an den du dich erinnerst. Er hatte sich sehr verändert. Ich glaube, er trauerte immer noch um seine Söhne. Das ließ ihm keine Ruhe. Ich habe ihn nur noch einmal in der Stadt gesehen. Dann hörte ich erst wieder von ihm, als er gestorben war.«
Nicholas strich sich mit der Hand durch die dunklen Locken und versuchte, sich mit diesem neuen Bild seines Vaters abzufinden. Alles in ihm sträubte sich dagegen. »Er hat mir geschrieben. Er hat mir verge- ben, Françoise, und er sagte, er wisse, was wirklich geschehen sei, als mein Bruder ums Leben kam.« Nicholas' Stimme klang hart, und er schaute seine Cousine durchdringend an. »Er sagte, er habe endlich die Wahrheit herausgefunden. Er muß den Brief kurz vor seinem Tod geschrieben haben. Er wußte, wer François umgebracht hatte, und wollte es mir verraten. Ich frage mich, o b . . . « Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen. Aber Françoise und Mara war klar, was er hatte sagen wollen.
»O Nicholas, non!« rief Françoise bestürzt aus. »Es war ein Unfall. Es muß ein Unfall gewesen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand... O non! Das ist einfach unmöglich«, flüsterte sie und schüt- telte den Kopf, als wollte sie sich von diesem unerträglichen Gedanken befreien.
»Jedenfalls, Françoise«, fuhr Nicholas mit eiskalter Stimme fort, »ist mein Bruder tot. Und jetzt mein Vater. Beide starben unter zweifelhaf- ten Umständen, aber diesmal konnte man mir nicht die Schuld geben.«
Mara lief ein Schauer über den Rücken, denn sie kannte diesen Tonfall und wußte, wie wütend Nicholas jetzt war.
»Ich hätte wissen müssen, daß etwas nicht stimmte, als ich zu unse- rem Stadthaus fuhr. Es war vollkommen verlassen. Aber wahrschein- lich trauert die Familie immer noch um ihn.«
Françoise schenkte sich noch eine Tasse Tee ein, bevor sie ihm vorsichtig widersprach: »Das Stadthaus liegt schon viel länger verlas- sen. Die Familie hat es seit einigen Jahren nicht mehr benutzt.«
»Und warum, Françoise?« Nicholas ließ nicht zu, daß sie sich um eine Antwort drückte.
Françoise seufzte. »Es war keine gute Zeit für uns Kreolen, Nicholas. Dein Vater war ein stolzer Mann, und er hätte es nicht ertragen, daß er nicht mehr so reich war wie früher«, erklärte sie ihm offen.
Nicholas starrte Françoise an. »Was soll das heißen? Sind die Mon- taigne-Chantales zu Bettlern geworden?«
»Non! So schlimm ist es nicht, Nicholas. Du mißverstehst mich.« Françoise wollte ihm nicht zu nahe treten, aber sie wußte, daß ihm nicht gefallen würde, was sie ihm zu sagen hatte. »Bald nachdem du New Orleans verlassen hattest, kamen schlechte Zeiten für das Zuckerrohr. Die Regierung senkte die Zölle auf importierten Zucker, und die Preise fielen drastisch. Plötzlich standen viele Leute vor dem Ruin. Viele Banken mußten ihre Tore schließen, und viele reiche Pflanzer verloren ihre Plantagen und ihr gesamtes Vermögen.«
»Beaumarais?« fragte Nicholas lediglich.
»Es ist immer noch da, und es gehört immer noch deiner Familie«, versicherte ihm Françoise, »aber es hat sich vieles verändert. Die Verlu- ste konnten nie wieder ganz wettgemacht werden. Inzwischen sind die Amerikaner die Herren von New Orleans.«
»Mir sind die Veränderungen aufgefallen, als wir durch die Stadt fuhren«, bemerkte Nicholas, der sich an die vielen neuen Gebäude erinnerte.
»Ja, es gibt viele Veränderungen, Nicholas, nicht nur in unserer Lebensweise, sondern auch in unserer Denkweise. Wir sind immer noch sehr altmodisch. Jetzt bestimmen die Amerikaner die gesellschaft- lichen Sitten.
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