Herzen im Feuer
bevor er den Familienfriedhof betrat. Dann schob er das schmiedeeiserne Tor auf und ging zu den Gräbern. Seine Mutter war am Gelbfieber gestorben, als er zwölf Jahre alt war. Zwei Brüder waren tot geboren worden. Nicholas blieb vor dem glatten Marmor- stein an François' Grab stehen, dann ging er zu dem frischesten Grab weiter. Der leere Platz neben seiner Mutter war jetzt belegt. Philippe de Montaigne-Chantale war wieder mit seiner Frau vereint. Was hast du ins Grab mitgenommen? fragte sich Nicholas. Er streichelte den kalten Stein, als wollte er ein geheimes Zeichen ertasten.
Dann kehrte er zum Grab seines Bruders zurück. Wer hatte die beiden hierhergebracht? Warum? Wen hattest du in Verdacht? fragte er in Gedanken seinen Vater. Was hast du entdeckt, daß du sterben mußtest?
Er drehte sich um zu dem großen Haus. Beaumarais. All die Jahre hatte er versucht, seinen Erinnerungen zu entkommen, hatten Zweifel an ihm genagt, bis er in manchen schwachen Augenblicken schon fast selbst glaubte, ein Mörder zu sein. Aber der Brief seines Vaters hatte diesen Zweifel ausgeräumt. Jetzt hatte er wieder Vertrauen zu sich selbst.
Wer konnte es getan haben? Celeste? Sie war immer eifersüchtig auf Danielles Kinder gewesen, vor allem auf die Jungen. Aber Celeste verstand nichts von Feuerwaffen und behauptete, sich vor ihnen zu fürchten.
Amaryllis andererseits war trotz ihrer vornehmen Erziehung ein exzellenter Schütze. Aber was hätte sie für ein Motiv gehabt? Als François' Verlobte wäre sie ohnehin eines Tages Herrin von Beaumarais geworden. Nachdem die Ländereien von Sandrose und Beaumarais zusammengefügt worden wären, wäre sie eine der reichsten Frauen des Landes gewesen.
Wenn sie es nicht gewesen war, wer dann? Etienne? Nicholas schüt- telte den Kopf. Etienne war gar nicht daran interessiert, eine so große Plantage zu besitzen. Im Gegenteil, er hatte die Ländereien seiner eigenen Familie verkauft, damit er Geld und Zeit zum Reisen hatte. Er war meist nur so lange auf Beaumarais, bis er sich erholt und seine Koffer wieder gepackt hatte.
Um keinen Deut klüger kehrte Nicholas zum Haus zurück. Er fragte sich, ob er überhaupt jemandem trauen konnte. Was wußte er schließ- lich nach fünfzehn Jahren über seine Verwandten? Er mußte wider
Willen lächeln, als ihm klarwurde, daß er einzig und allein Mara O'Flynn trauen konnte. Sie würde bestimmt lachen, wenn sie wüßte, was er dachte.
Er grübelte immer noch, als er ein paar Minuten später in Maras Zimmer trat und Mara und Paddy auf dem Bett schlafen sah. Über- rascht blieb er stehen, dann schlich er sich ans Bett und betrachtete amüsiert das ungleiche Paar. Mara O'Flynn war wirklich eine unge- wöhnliche Frau - wenn man sie überhaupt schon als Frau bezeichnen wollte, da sie nicht viel älter als zwanzig sein konnte. Er konnte es immer noch nicht glauben, daß diese Frau dieselbe Mara O'Flynn war, gegen die er einst Rachepläne geschmiedet hatte. Er schaute auf sie herab, und seine Augen ruhten auf ihren vollen Lippen, auf denen ein leichtes Lächeln lag.
Mara bewegte sich im Schlaf und legte schützend ihren Arm über Paddy. Nicholas fühlte eine Art Neid, als er diese so selbstverständliche Geste sah, und fragte sich, wie es wohl wäre, von Mara geliebt zu werden. Wie es wäre, wenn sie nicht nur aus Leidenschaft, sondern aus Liebe seine Annäherungen erwiderte. Nie flüsterte sie Zärtlichkeiten in sein Ohr, und nie wurde ihr Blick hingebungsvoll, wenn sie ihm in die Augen sah. Plötzlich verlangte Nicholas danach, diese Liebe kennenzu- lernen, aber schon eine Sekunde später wischte er den Gedanken fort. Zuviel war zwischen ihnen vorgefallen, als daß sie einander noch lieben konnten.
Mara ahnte nichts von diesen Gedanken, als sie später am Abend Nicholas gegenüber am Eßtisch saß. Ihr Blick verlor sich zwischen Porzellan und feinem Kristallglas auf der langen, ovalen Tafel, in wel- chem sich das Licht der großen Kerzenleuchter an beiden Enden brach. Auf der Anrichte reihten sich silberne Platten mit Hühnchen und Hummersalat, gebackenem Schinken und Austern, Rindfleisch und Ente sowie verschiedene Gemüse in Sauce und andere Beilagen. In der Mitte des Tisches thronte eine Pyramide aus Nougat, umgeben von Marzipanblöcken.
»O Mademoiselle, ihr Kleid, c'est exquisite«, hauchte Nicole bewun- dernd, als sie Maras malvenfarbiges Seidenkleid mit den schwarzen Spitzen sah. »So eine schöne Farbe habe ich noch nie gesehen. Es ist bestimmt
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