Herzen im Feuer
über ihre langsam ertaubende Zofe - die das natürlich nicht zugeben wollte - und wiederholte lauter: »Jamie! Wach auf, Jamie!«
Erst als Mara sie schüttelte, richtete sich die alte Frau abrupt auf. »W-wie spät isses?«
Mara lächelte. »Das weiß ich nicht. Warum fragt das eigentlich jeder, wenn er plötzlich aufgeweckt wird, als hätte er ein schlechtes Gewis- sen? Außerdem läßt sich verlorene Zeit nicht ersetzen...«, sagte sie achselzuckend.
»Aber trotzdem weiß ich, was ich zu tun hab'. Ich werd' den kleinen Paddy wecken und anzieh'n - und Sie sollten sich auch anzieh'n«, belehrte Jamie Mara nach einem kritischen Blick. »Sie sollten sich schämen, so herumzulaufen! Was sollen die Leute sagen? Nich' mal Schuhe haben Sie an. Sie benehmen sich wie eine Heidin, und wenn ich dran denk', wie sauber Sie erzogen worden sind, dann -«
»Schon gut, Jamie, ich gehe ja schon«, beschwichtigte Mara sie, während sie barfüßig und ohne ein Geräusch zu machen zur Türe tappte. »Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, daß ich mich gern frei fühle.« Mara strich über das weiche Kleid, das sie auf ihrer nackten Haut spürte. »Und ich bin frei, Jamie. Ich kann tun und lassen was ich will, und niemand kann es mir verbieten. Das ist der Vorteil, wenn man ohne Stand geboren wurde. Niemand kümmert sich um einen«, erklärte sie stolz, bevor sie das Zimmer verließ.
Mara klopfte an Brendans Tür, erhielt aber keine Antwort. Nach einer Minute drückte sie vorsichtig den Riegel auf und betrat dann das Zimmer. Er lag schlafend auf seinem Bett, eine halbleere Whiskeyfla- sche auf dem Tisch neben sich. Wenn er schläft, sieht er fast wie Paddy aus, dachte Mara traurig. Seine Locken hingen ihm in die Stirn, und ein leichtes Lächeln ließ seinen sonst so harten Mund weich wirken. Er schien so unschuldig wie sein Sohn.
»Brendan«, flüsterte Mara. »Brendan, wach auf! Du mußt dich um- ziehen.«
Sein Hemd war verknittert und stand offen, so daß sein schlanker Hals zu sehen war. Brendan befreite seine Schulter mit einem Protest- laut aus Maras Griff und barg sein Gesicht mit einem unverständlichen Murmeln in der Ellenbeuge.
»Was?« fragte Mara.
»Molly, meine kleine Molly.« Brendan lallte den Namen.
Maras Lippen wurden schmal, als sie das hörte. »Nein, ich bin's, Mara, Brendan«, verbesserte sie scharf. »Es ist Zeit zum Aufstehen. Du mußt dich rasieren und waschen. Du stinkst wie eine ganze Destille.«
Eine Stunde später saß Mara lächelnd vor dem Spiegel. Sie befestigte schwere Gagatohrringe an ihren Ohrläppchen und legte die dazugehö- renden Armreifen um ihre Handgelenke. Im Kerzenlicht glänzten ihre Schultern über dem hellgelben Glaceseidenkleid wie Perlmutt. Das Kleid war in Rüschen gerafft und wurde durch schwarze Samtbänder akzentuiert, die ausgezeichnet zu dem schwarzen Spitzenbesatz oben am schulterfreien Mieder paßten. Ein schwarzes, golddurchwebtes Haarnetz, in dem sich das Kerzenlicht fing, hielt ihren Haarknoten.
Mara tupfte ein paar Tropfen ihres Lieblingsparfums auf die Innen- seite ihrer Handgelenke und die Vertiefung über ihrem Brustbein. Als sich die ätherische Flüssigkeit erwärmte, durchströmte Veilchenduft den Raum. Sie steckte ein delikates Spitzentaschentuch in ein Satin- handtäschchen und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Spiegel- bild.
Eben legte sie einen schwarzen Spitzenschal über ihren Arm, als sich Brendan mit seinem typischen Klopfzeichen ankündigte.
Er war rasiert, gewaschen und gekämmt. Über seinem frischen Lei- nenhemd hatte er ein blaues Seidentuch um den Hals gebunden, das mit einer goldenen Nadel zusammengehalten wurde. Er sah sehr elegant und respektabel aus, gar nicht zu vergleichen mit einem Mann, den Mara vor einer Stunde geweckt hatte.
»Sollen wir uns unserem Publikum stellen?« fragte Brendan gutge- launt und schaute sich im Zimmer um. »Wo ist Paddy? Ist er noch nicht fertig?«
»Jamie wird ihn herüberbringen«, antwortete Mara geduldig. »Und wenn er so gut aussieht wie sein Vater, dann können wir stolz auf ihn sein.«
Brendan grinste breit. »Findest du wirklich? Damit dieses Schauspiel nicht allzu langweilig wird, habe ich mich zur Abwechslung mal als Dandy verkleidet. Außerdem ist es manchmal besser, den Harmlosen zu spielen. Meine Tischdame wird mich bestimmt in all ihre Geheim- nisse einweihen. Und so werde ich vielleicht interessante Neuigkeiten über Don Luís und seine Verwandtschaft erfahren.« Seine Augen
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