Herzen in Flammen
drängten sich an den Fenstern, um zuzusehen, als die zahlreichen Adeligen auf ihre edlen Pferde stiegen. Am Himmel hingen bedrohliche, dichte Wolken. Noch ehe der Vormittag vorbei war, würden sie alle vom Regen durchnässt sein, und doch wurde kein Befehl zu einem späteren Aufbruch erteilt. Alfred richtete sich nicht nach dem Wetter.
Kristen war froh, dass sich der Trubel im Hause wieder legen würde, doch sie wuss te auch, was die Abreise des Königs für sie bedeutete: Ihr Abkommen mit Royce endete jetzt.
Langsam ging sie wieder in die Küche. Eda lief neben ihr her. »Hat Royce heute Morgen etwas zu dir gesagt?« fragte sie vorsichtig.
» J a, allerdings. «
»Ach.«
»Ach? Eine so ausweichende Frage sieht dir gar nicht ähnlich, Mädchen«, sagte Eda verdrossen. »Wenn du wissen willst, was mit den Ketten ist, dann frag mich. Nein, frag mich nicht. Ich habe den Befehl von ihm, ganz so, wie du es erwartet hast. «
»Ja , ich habe wirklich nichts anderes erwartet.«
»Wenn dich das tröstet - er war darüber auch nicht gerade glücklicher als du.«
»Nein, das tröstet mich gar nicht. «
»Du hast dich einmal mit ihm geeinigt. Triff ein neues Abkommen mit ihm. Du hast doch Verstand, Mädchen. Nutze das, was du erreicht hast, um zu bekommen, was du haben willst. «
Endlich war es der alten Frau gelungen, ihren Zorn zu entfachen, der sich in hämischem Sarkasmus äußerte. »Wenn du das vorschlägst, stellst du dich gegen deinen Herrn. Du vergiss t, wie wenig man mir trauen kann. Es steht zu erwarten, dass ich am helllichten Tag fliehe. «
»Ach, du hörst ja doch nicht auf mich. Du hast noch nie auf mich gehört. Was weiß denn ich? Schließlich kenne ich diesen Mann ja nur von Kind an. Ich habe ... «
»Gott steh mir bei!« fauchte Kristen verärgert. »Wenn du nicht aufhörst, an mir herumzunörgeln, Alte, dann werde ich ... «
»Gott steh dir bei?« erkundigte sich Royce hinter ihrem Rücken. »Von welchem Gott sprichst du?«
Sie wirbelte herum und war zu erbost, um sein Erstaunen zu bemerken. »Was willst du, Sachse? Kannst du nicht auf die Jagd gehen oder dein Heer trainieren? Hast du denn überhaupt nichts zu tun? Ich hasse es, wenn du dich von hinten an mich heranschleichst.«
Er wuss te, warum sie so wütend war. Er hatte vorhergesehen, dass es nicht einfach werden würde, ihr die Ketten wieder anzulegen. Deshalb war er hier. Er wollte dafür sorgen, dass sie sich nicht allzu ungefügig gebärdete. Doch sie hatte ihn mit einem Ausruf verblüfft, den nur ein Christ getan hätte.
»Welchen Gott rufst du an?« wiederholte er.
Sie kniff verbissen die Lippen zusammen. Sie wollte ihm nicht antworten. Er packte ihren Arm und schüttelte sie, bis sie ihn wutentbrannt von sich stieß.
»Wenn du mich noch einmal derart durchschüttelst, Sachse, dann schwöre ich dir, dass ich dir einen Fausthieb ins Gesicht verpasse.«
Er hätte jetzt eigentlich auch in Wut geraten und explodieren müssen. Statt dessen lachte er. »Ich habe dir doch nur eine simple Frage gestellt, Kristen. Warum wehrst du dich so sehr dagegen?«
Sein Lachen wirkte Wunder. Warum wollte sie dieses Geheimnis denn immer noch für sich behalten? Anfangs hatte es Gründe dafür gegeben, aber die gab es inzwischen längst nicht mehr.
Kristen lächelte über ihre eigene Übellaunigkeit. Eda wandte sich kopfschüttelnd ab und wunderte sich über die Plötzlichkeit dieser Stimmungsumschwünge. Royce war ebenso verblüfft. Es war gespenstisch, wie schnell sie ihre Gefühlsaufwallungen immer wieder beherrschen konnte.
»Verzeih mir«, sagte Kristen, aber sie wirkte keineswegs zerknirscht. »Ich wollte dich gar nicht so heftig von mir stoßen. Doch, ich wollte es schon, aber es tut mir leid.«
»Was aber nicht heißt dass es nicht wieder vorkommt. «
»Das ist wahr. « Ihre Augen lachten ihn an.
Royce grinste kopfschüttelnd. »Beantwortest du mir jetzt meine Frage?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bete zu dem Gott meiner Mutter.«
»Warum nennst du ihn dann nicht bei seinem Namen?«
»Das habe ich doch getan. « Als er die Augenbrauen hochzog, erklärte sie. »Der Gott meiner Mutter ist euer Gott. «
Er zuckte zusammen und wurde ernst. »Wie ist das möglich?«
»Das ist ganz einfach. Die Wikinger haben viele, viele Jahre lang andere Länder überfallen. Von diesen Raubzügen brachten sie christliche Gefangene mit nach Hause. Darunter war auch meine Mutter. Die Mutter meines Vaters war auch eine Christin. Mein Vater und meine
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